Ein Jahr ist seit den Anschlägen von Paris im November 2015 vergangen. Es folgten die in Brüssel, Nizza, Israel. Und nun Berlin. Spätestens seit Paris war die Angst da. Eine nüchterne Einschätzung der Realität machte sich breit, sie lautete: Anschläge in Deutschland sind nur eine Frage der Zeit.
Das Grundvertrauen hat Risse bekommen. Auch in meinen Alltag hat sich die fast vergessene Vorsicht, die ich in Israel erworben hatte, wieder eingeschlichen. Nicht laut, wenig dramatisch, eher subtil und besonders an Orten, wo Juden zusammenkommen, meldet sie sich wieder: links schauen, rechts schauen, überprüfen.
statistik Was tun also mit der Ängstlichkeit? Viele Menschen fürchten sich jetzt vor weiteren Attentaten. Zeitungen, soziale Netzwerke und das Internet verwandeln sich in psychologische Ratgeber. Etwa der Versuch, mit Statistik zu beruhigen: »Es ist statistisch gesehen wahrscheinlicher, beim Radfahren zu sterben, als durch einen Terroranschlag.«
Das beruhigt kaum. Warum also haben wir trotzdem Angst? Die Konfrontation mit Krieg oder Terror ist mehr als ein individuelles Trauma. Es geht immer um »man made« Gewalt, um die Erschütterung kollektiver Selbstverständnisse, Weltbilder, die Verletzung körperlicher und psychischer Integrität. Ein Gefühl anhaltender Bedrohung entsteht, das sich aus der imaginierten und der realen Lebensgefahr ergibt.
verzerrung Was die tatsächliche Gefahr angeht, unterliegen wir oft einer kognitiven Verzerrung: Je mehr uns ein Ereignis emotional berührt, desto häufiger erinnern wir uns daran, und im Ergebnis überschätzen wir die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder eintritt. Auch die mediale Präsenz trägt dazu bei, dass die Verunsicherung zunimmt.
So hat sie nicht nur individuelle, sondern auch politische Konsequenzen. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass die Angst nicht überhandnimmt. Wir sollten dieses Gefühl verarbeiten, damit es nicht noch mehr politisch instrumentalisiert und populistisch eingesetzt wird.
Die Autorin ist Psychologin und leitet das Kompetenzzentrum der ZWST.