Interview

»Der Müll liegt in den Ecken«

Herr Pfarrer, in der evangelischen Berliner Wochenzeitung »Die Kirche« fordern Sie, Christen sollen den antijüdischen Schutt beiseiteräumen, der sich in Jahrhunderten aufgetürmt hat. Was wollen Sie entrümpeln?
Zum Beispiel die unselige Praxis, die hebräische Bibel nur vom Neuen Testament her zu deuten, oder dass man dem »Rachegott« des Alten Testaments die christliche Nächstenliebe entgegenstellt. Dazu gehört auch, dass man vom Volk Gottes redet und die Kirche meint, und schließlich, dass man die Tora abwertet und die jüdische Frömmigkeit als gesetzlich denunziert. Damit wird ein bestimmtes Gottes- und Glaubensbild transportiert, das den Antijudaismus fördert. Vielleicht ist das eine Gedankenlosigkeit. Aber der Müll liegt in den Ecken, es wird nicht saubergemacht.

Wie stellen Sie sich das Reinemachen vor?
Die hebräische Bibel muss neu in den Blick genommen werden. Ich hoffe, dass die anstehende Revision der Predigtreihen der evangelischen Kirche hier eine Veränderung bringt und dass endlich Erkenntnisse aus dem christlich-jüdischen Gespräch aufgenommen werden.

Wie sinnvoll ist das christlich-jüdische Gespräch unter diesem Vorzeichen?
Das Gespräch scheint ins Stocken geraten zu sein. Vielleicht liegt das daran, dass man auf christlicher Seite spürt, wie mühsam es ist, den Schutt beiseitezuräumen. Die Christen brauchen das Gespräch mit den Juden, ob es umgekehrt auch so ist, darüber kann man lange streiten.

Sie fordern, auch der sogenannten Judenmission müsse eine klare Absage erteilt werden. Ist das bislang nicht geschehen?
Offiziell schon. Ich fürchte jedoch, dass die Rücksichtnahme auf bestimmte evangelikale Gruppen und Kreise in unserer Kirche eine endgültige Absage nicht zulässt. Für mich ist der Lackmustest die Haltung zu den messianischen Gruppen, wie »Juden für Jesus«. Da gibt es noch immer viel Sympathie und Unterstützung, obwohl dort eindeutig Judenmission betrieben wird. Denn wer Jesus als Messias anerkennt, ist kein Jude mehr.

Sind die von Ihnen beschriebenen Phänome auch dafür mitverantwortlich, dass sich manche Vertreter der Kirche in aktuellen politischen Fragen bewusst antiisraelisch positionieren?
Kritik an der israelischen Politik ist legitim, sie wird auch in Israel geübt. Andererseits sind wir mit Blick auf die Lage der palästinensischen Christen manchmal in der Versuchung, ihre Position und Sprache zu übernehmen.

Zum Beispiel wenn Israels Palästinenserpolitik als »Sünde an Gott« bezeichnet wird?
Ja, das setzt eine sehr fragwürdige palästinensische Land-Ideologie der Eretz-Israel-Ideologie entgegen. Wir werden das öffentlich erörtern. Und wir werden den palästinensischen Christen kritische Fragen stellen müssen.

Mit dem Berliner Theologen sprach Detlef David Kauschke.
(Das Foto wurde uns freundlicherweise von »die kirche« zur Verfügung gestellt.)

Meinung

Nur zweite Wahl?

Man muss den neuen Kanzler nicht mögen. Aber eine Chance geben sollte man ihm schon. Mit Heckenschützenmentalität und verantwortungsloser Lust am Zündeln haben einige Parlamentarier mutwillig den guten Ruf unseres Landes aufs Spiel gesetzt

 06.05.2025

Nahost

Trump verkündet überraschend Huthi-Kapitulation

Während Israel als Reaktion auf den jemenitischen Dauerbeschuss Huthi-Ziele bombardiert, überrascht US-Präsident Donald Trump mit einer Ankündigung: Die Miliz hätte kapituliert. Was das genau bedeutet, bleibt zunächst völlig unklar

 06.05.2025

Berlin

Merz: »Israel macht uns allergrößte Sorgen«

Noch am kommenden Wochenende soll der neue Außenminister Wadephul nach Israel reisen. Der neue deutsche Kanzler sendet schon jetzt eine klare Nachricht nach Jerusalem

 06.05.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  06.05.2025

8. Mai

Deutschland braucht noch Zeit

Auch 80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft sind entscheidende Fragen umstritten: Wer wurde befreit, von wem genau, und was folgt daraus? Ein Gesprächsangebot

von Igor Matviyets  06.05.2025

Essay

Bitburg 1985: Plötzlich waren wieder die Juden schuld

Maram Stern über eine Zeit, als in Deutschland schon einmal versucht wurde, einen Schlussstrich zu ziehen

von Maram Stern  06.05.2025

Studie

Bildungsstätte Anne Frank: NS-Geschichte wird im Netz zum Spiel

Dabei würden falsche Darstellungen und antisemitische Klischees verbreitet

 06.05.2025

Kanzlerwahl

So reagiert das Ausland auf die Wahl-Niederlage im ersten Durchgang von Friedrich Merz

Die Niederlage von Friedrich Merz im ersten Wahlgang überrascht auch die internationalen Medien.

 06.05.2025

Presseschau

»Drama beGermania«: Wie israelische Medien auf die Kanzlerwahl blicken

Auch in Israel wird der Krimi um die im ersten Gang gescheiterte Wahl von Friedrich Merz mit Interesse verfolgt. Ein Überblick

 06.05.2025