Wirtschaft

Brot, Preis und Profit

Wir haben eine ethische Mitverantwortung für gestiegene Lebensmittelpreise in armen Ländern. Foto: Thinkstock, dpa, (M) Marco Limberg

Die Deutsche Welthungerhilfe, das katholische Hilfswerk Misereor und die Verbraucherorganisation Foodwatch sind sich einig: Sie fordern die großen Banken auf, aus der Spekulation mit Lebensmitteln auszusteigen. Zahlreiche Politiker behaupten ebenfalls, dass Spekulationen eine wichtige Ursache für die steigenden Nahrungsmittelpreise seien.

Dieser Vorwurf deckt sich mit einer seit Monaten von der Hilfsorganisation Oxfam geführten Kampagne für ein Verbot solcher Spekulationsgeschäfte. Die Stimmung in Bezug auf die Banken ist schlecht, deshalb finden die Forderungen mitunter frenetischen Applaus in weiten Teilen unserer Gesellschaft. Wie soll man sich aber jüdisch gesehen dazu verhalten?

talmud Interessanterweise gab es gerade in Bezug auf Spekulationen mit Nahrungsmitteln eine ausführliche Auseinandersetzung im Talmud. Das ethische Ziel bestand damals in einer Grundversorgung der gesamten Gemeinschaft. Voraussetzung hierfür waren jedoch auch schon in talmudischen Zeiten Finanzierungsmöglichkeiten für Bauern und Händler. Seit der frühen Antike gab es darum einen Markt mit Termingeschäften und ähnlichen Derivaten. Er sollte Engpässe auf den Märkten und starke Preisschwankungen abfedern und gewährleisten, dass am Ende alle Brot kaufen konnten.

Rabbiner Aaron Levine (1946–2011), Autor zahlreicher Publikationen über den Zusammenhang von Wirtschaft und Halacha, betonte stets, dass die heutigen agrarwirtschaftlichen Bedingungen Finanzierungsinstrumente verlangen, die sowohl den gegenwärtigen Anforderungen gerecht werden als auch mit der Halacha in Einklang zu bringen sind. Er konstatierte, dass Spekulation mit Nahrungsmitteln nicht nur erlaubt, sondern zu fördern ist, wenn sie dem Gemeinwohl dient.

liquidität Ein Kriterium hierfür ist die Liquidität der Märkte. Ein Markt ist dann liquide, wenn er in jeglicher Hinsicht »im Fluss« ist, wenn also möglichst viele Teilnehmer – Bauern und Produzenten, Händler und Käufer – an ihm teilnehmen und das Verhältnis von Nachfrage und Angebot in die richtige Balance bringen. Dient Spekulation diesem Ziel, sei sie halachisch positiv zu bewerten. Dient sie jedoch nur dem Gewinnstreben Einzelner, was zum Beispiel bei rein spekulativen »Leerverkäufen« der Fall sei, falle sie unter den negativ zu sehenden Sachverhalt des »Glücksspiels«.

Das Problem für Levine wie auch für die ökonomisch versierten Rabbinen im Talmud ist also nicht, dass Bauern und Händler Profit machen wollen, sondern wie die Liquidität des Marktes im Dienste des Gemeinwohls gefördert wird. In Levines Argumentation spiegelt sich die talmudische Auseinandersetzung mit zwei damals geltenden Bestimmungen in der Mischna.

Erstens: ein Verbot von Geschäften mit zu hohem Risiko für nur eine Seite der beiden Geschäftspartner, insbesondere bei spekulativen Leerverkäufen. Zweitens: ein Gebot der Markttransparenz, die durch den »festgesetzten Preis« hergestellt werden soll und die Liquidität des Marktes fördert. Dieser entsteht an Orten mit großen Märkten und erinnert heute an den »notierten Preis« an der Börse, der ebenfalls vor Willkürgeschäften schützen soll.

Dank des in Wirtschaftsfragen autoritativen Talmudgelehrten Raba führte die damalige Debatte zu dem erstaunlichen Schluss, dass gerade die Spekulation mit Nahrungsmitteln erlaubt sei, sofern sie sich darauf richtet, dass die Lebensmittel auch vorhanden sind – der Markt also liquide ist.

gutachten Keines der heutigen ernst zu nehmenden Gutachten kann bestätigen, dass die Spekulation mit Nahrungsmitteln für gestiegene Lebensmittelkosten verantwortlich ist. Investitionen in Indexfonds mit Nahrungsmitteln lösen keine zusätzliche Nachfrage aus, sondern handeln mit bestehenden Verträgen. Sie funktionieren als Versicherung gegen Preissteigerungen.

Haben wir deshalb keine ethische Mitverantwortung für gestiegene Lebensmittelpreise in armen Ländern? Doch, haben wir. Dass durch einseitige Anreize in den USA und der EU große Landwirtschaftsflächen dem Biosprit geopfert werden, führt zu einer Verknappung von Grundnahrungsmitteln auf dem Weltmarkt – also zu weniger Marktliquidität. Ungünstigerweise geht dies einher mit einem erhöhten Fleischkonsum in Asien, wodurch ein Großteil unserer Getreidevorräte an Tiere verfüttert wird.

Gerade die Religionen sollten bei diesem Thema ihre Verantwortung erkennen und nicht leichthin einer Kampagne folgen, die der Stimmung gemäß Sündenböcke sucht. Folgt man der rabbinisch-talmudischen Ethik, läuft dies auf eine ganz konkrete Folgenabschätzung der hiesigen Politik hinaus – zum Beispiel der Subventionierung von Biosprit. Den Maßstab bildet dabei das Gemeinwohl einschließlich der Grundversorgung der Armen unter den neuen Bedingungen einer globalisierten Welt.

Die Autorin ist Rabbinerin und Gründerin des Vereins zur Förderung jüdischer Wirtschafts- und Sozialethik »Torat haKalkala«.

Regierung

Mit Davidstern ins Kabinett

Karin Prien wird Deutschlands erste Bundesministerin mit jüdischen Wurzeln. Erst seit wenigen Jahren spricht die CDU-Politikerin öffentlich über ihre Familiengeschichte

von Michael Thaidigsmann  30.04.2025

Iran

Mullahs lassen angeblichen Mossad-Informanten hinrichten

Die Zahl der Hinrichtungen hat in den vergangenen Jahren drastisch zugelegt

 30.04.2025

Buenos Aires

Argentinien stellt Dokumente über geflohene Nazis online

Viele hochrangige Nationalsozialisten flohen nach dem Zweiten Weltkrieg vor Strafverfolgung – vor allem nach Südamerika. In Argentinien sind Dokumente zu den NS-Tätern nun digital zugänglich

 30.04.2025

Hanau

Antisemitisches Plakat an Schule: Staatsschutz ermittelt

In einem angrenzenden Park gab es eine Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde. Besteht ein Zusammenhang?

 30.04.2025

Jom Hasikaron

Israel gedenkt der Terroropfer und Kriegstoten

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 850 israelische Soldaten und 82 Sicherheitskräfte getötet worden

 30.04.2025

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025