Rechtsextremismus

Brachial gegen »Schuldkult«

Für die Neonazis sind Stolpersteine »neuzeitliche Gesslerhüte«. Foto: Mike Minehan

Anfang der 90er-Jahre kam der Kölner Bildhauer Gunter Demnig auf die Idee, Opfern der NS-Diktatur mit, wie er sie nannte, »Stolpersteinen« ein Gedenken zu setzen. Mit Messingplatten ins Trottoir eingelassene Steine, die Namen und biografische Daten der Verfolgten tragen, werden von Demnig vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Nazi-Opfer in den Bürgersteig platziert. Das Projekt soll die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig erhalten und zum Nachdenken anregen.

»Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist«, sagt Demnig. Inzwischen liegen weit über 37.000 Stolpersteine in über 750 Orten der Bundesrepublik und in anderen Ländern Europas, darunter Italien, Norwegen, Österreich, Polen, Tschechien, Ungarn und die Ukraine. Für viele der Gedenksteine gibt es Patenschaften: Schulklassen, Vereine aber auch Privatpersonen übernehmen die 120 Euro, die Herstellung und Verlegung pro Stein kosten.

osten Auf wenig Zuspruch stoßen Demnigs Stolpersteine naturgemäß dagegen im rechtsextremen Lager. »Uns soll schon jetzt an jeder Ecke eingetrichtert werden, wir seien ein böswilliges Tätervolk. Da brauchen wir beim besten Willen nicht auch noch Stolpersteine«, schäumte der saarländische NPD-Landesvorsitzende Frank Franz, als 2012 in Völklingen ein Stolperstein verlegt wurde. Es blieb nicht beim verbalen Widerstand. Ende August wurde der Stein mit einem aufgemalten Hakenkreuz geschändet.

Solche Brachialaktionen kommen in der alten Bundesrepublik relativ selten vor. Im Osten des Landes sind sie dagegen fast an der Tagesordnung. In Schwedt in Brandenburg wurden im Dezember 2012 drei Stolpersteine mit schwarzer Farbe beschmiert. Im Oktober geschah das Gleiche in der Innenstadt von Zossen, ebenfalls in Brandenburg. »Schweine« sprühten die Täter zusätzlich auf den Gehweg.

Im sächsischen Chemnitz wurde 2010 ein Stolperstein gestohlen, in Gera in Thüringen wurden im selben Jahr fünf Stolpersteine aus einem Gehweg herausgerissen. Auch in Berlin gab es immer wieder Übergriffe. Im November 2011 wurde in Friedenau eine Infotafel zu den Stolpersteinen umgestürzt. Im August und im September desselben Jahres kippten unbekannte Täter Teer über Stolpersteine in Lichtenberg.

Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern sind die Stolpersteinfeinde aktiv. Das nordöstliche Bundesland hält seit Monaten den Spitzenplatz in Sachen Schändung. Zuletzt wurden im Dezember 2012 fünf Stolpersteine im Kurort Sassnitz auf Rügen aus dem Straßenpflaster gebrochen und ein weiterer beschädigt. Zuvor hatten in der Nacht zum 9. November Unbekannte in Greifswald alle elf dort verlegten Stolpersteine aus dem Boden gerissen.

Die Empörung war groß. Von einer »pietätlosen Schändung«, die die Opfer des NS-Regimes verhöhne, sprach der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Wolf-Dieter Ringguth. Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Nieszery, bezeichnete es als »besonders beschämend wenn so etwas ausgerechnet am Jahrestag der Pogromnacht geschieht«.

häme Ganz anders das NPD-nahe Internetportal MUPINFO (»Nachrichten für Mecklenburg und Pommern«). Dort begrüßte man den Übergriff mit hämischen Worten: »Auch andernorts erregen die inflationär verlegten Stolpersteine den Unmut der Bürger. Doch nur in den seltensten Fällen traut sich jemand, gegen diese neuzeitlichen ›Gesslerhüte‹ öffentlich Stellung zu beziehen.« Die Domain der Homepage von MUPINFO hält David Petereit, stellvertretender NPD-Landesvorsitzender und Landtagsabgeordneter der NPD in Schwerin.

Begeistert zeigte sich MUPINFO auch von einer rechtsextremen Aktion in der Nacht zum 22. September 2012 in Wismar. Alle in der dortigen Innenstadt verlegten Stolpersteine wurden damals von Unbekannten mit Stahlplatten, auf denen die Lebensdaten von Wehrmachts- und Waffen-SS-Soldaten eingraviert waren, überklebt.

Auf MUPINFO kommentierte ein Neonazi unter dem Pseudonym »Axel Heider«: »Während deutsche Ehrenmäler, die an die Gefallenen der letzten Tage erinnern, hierzulande verrotten und vergammeln, lassen Demokraten die Straßen mit Stolpersteinen in rauen Mengen pflastern. Diese sollen als dauerhafte Sühnezeichen stets und ständig an das Schicksal der Juden und die ewige Schuld der Deutschen mahnen. Auch diejenigen, die immer noch nicht kriechen, sollen endlich zum Stolpern animiert werden.«

Auch der Beschädigung mehrerer Stolpersteine in Neustrelitz im Juni hatte MUPINFO applaudiert: »Auffällig ist, dass die drei Stolpersteine erst am 30. April verlegt worden waren. Bis dahin war die ehemalige Residenzstadt von der neuzeitlichen Unsitte dieses Schuldkultes verschont geblieben.«

propaganda Gelegentlich geht die Hasspropaganda der Tat auch voraus. Im September 2010 wurden in Anklam (Landkreis Vorpommern-Greifswald) mehrere Stolpersteine mit schwarzer und roter Farbe sowie dem Wort »Lüge« beschmiert. »Mit Anklam reiht sich eine weitere Stadt in Mecklenburg und Vorpommern in den verordneten Schuldkultextremismus ein«, hatte der NPD-Landesverband in einer Pressemitteilung zuvor im Juli 2010 deren Verlegung kommentiert. »Mit Straßenpflaster Judengedenken zelebrieren«, lautete eine Zwischenüberschrift des NPD-Textes.

Ein Ende der Schändungen ist nicht in Sicht. Aktuell hetzen NPD-Kreise im rheinland-pfälzischen Herschberg gegen dort verlegte Stolpersteine. Auf der NPD-nahen Homepage »Pfalz-Stimme« heißt es: »Diese Art des Erinnerungskults muss stets aufrechterhalten werden, um vor allem die nachfolgenden Generationen zu ewiger Schuld zu verdammen und die dazugehörige Zahlungsbereitschaft sozusagen schon in frühester Kindheit als von Gott gegeben in die Wiege zu legen.«

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