Antisemitismus

»Bei BDS endet die Kunstfreiheit«

Alexander Graf Lambsdorff Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich

Graf Lambsdorff, Sie haben in einem Tweet die Organisatoren der documenta in Kassel scharf kritisiert. Wie verfolgen Sie die Debatte um die Kunstausstellung?
Wir müssen leider davon ausgehen, dass die documenta eine israelfreie Kunstausstellung plant. Es ist Aufgabe der Kulturstaatsministerin, dafür zu sorgen, dass es nicht dazu kommt.

Hätten Sie sich von Claudia Roth mehr erwartet? Sie hat ja versucht zu vermitteln …
Kulturstaatsministerin Roth hätte Gespräche mit den Kuratoren aus Indonesien führen und darauf hinwirken müssen, dass eine Unterauftragsvergabe an palästinensische Gruppen die BDS-Problematik berücksichtigen muss. Und sie hätte sicherstellen müssen, dass bei der mittlerweile abgesagten Gesprächsreihe zum Thema Judenhass die Expertise des Zentralrats der Juden berücksichtigt wird. Beides ist unterblieben.

Wird der israelbezogene Antisemitismus von Teilen des deutschen Kulturbetriebs heruntergespielt?
Eindeutig ja. Es gibt seitens mancher Veranstalter hierzulande eine Leichtfertigkeit im Umgang mit gewissen Personen, die ich nicht nachvollziehen kann. Der israelbezogene Antisemitismus ist real, er ist keine Schimäre. Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung, ihm entgegenzutreten – gerade, wenn der Bund als Co-Finanzier auftritt.

Warum wird ausgerechnet im Zusammenhang mit der Documenta so heftig über das Thema BDS diskutiert?
Große Kunstausstellungen sind immer auch ein Spiegel ihrer Zeit, politische Diskussionen sind also nicht ungewöhnlich. Denken Sie an die Biennalen in Vendig oder an die Mbembe-Debatte bei der Ruhrtriennale vor einiger Zeit. Das Problem ist aber, dass viele Akteure in postkolonialen Diskursen einen sehr verzerrten Blick auf den Nahostkonflikt und Berührungspunkte zur BDS-Bewegung haben. Das führt dazu, dass eine Ausstellung wie die Documenta in schwieriges Fahrwasser gerät.

Sollte sich die Politik bei der documenta überhaupt einmischen?
Ich bin ein großer Anhänger der Kunstfreiheit. Aber die documenta wird mit Bundesmitteln unterstützt, und bei BDS, Antisemitismus und Israelhass endet die Kunstfreiheit. Wer sich in postkoloniale Diskurse begibt, hat die Verantwortung, Partner aus anderen Ländern auf diesen Aspekt hinzuweisen. Wir haben in Deutschland richtigerweise eine eindeutige Haltung: Eine Delegitimierung des Staates Israel kann und darf es nicht geben, da die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist, wie Angela Merkel das 2008 in der Knesset formuliert hat. So steht es auch im Koali­tionsvertrag der Ampel.

Ist das nicht eine typisch deutsche Debatte?
Natürlich, aber wenn sich deutsche Politikerinnen in postkoloniale Diskurse begeben, ist es auch ihre Verantwortung, Partner aus anderen Ländern auf diesen besonderen deutschen Aspekt hinzuweisen.

Muss die Vergabe staatlicher Gelder für den Kulturbetrieb schärfer reglementiert werden?
Privat kann bekanntlich jeder tun und lassen, was innerhalb der Grenzen des Rechtsstaats zulässig ist. Doch der Bund hat eine besondere Aufgabe. Man kann darüber diskutieren, ob man noch mehr Verbindlichkeit erzielen müsste. Aber ich hoffe sehr, dass die BDS-Resolution des Bundestages von 2019 ausreicht, wenn es um den verantwortungsvollen Einsatz von Steuermitteln bei Projekten mit Israelbezug geht. Die Resolution hat einen enormen Widerhall gefunden, und das ist auch richtig und wichtig.

Hat sich seitdem wirklich etwas verändert? Die Debatte darüber lässt ja nicht nach, der staatlich geförderte Kulturbetrieb positioniert sich dagegen.
Natürlich sind nicht alle mit der Resolution einverstanden. Manche glauben, BDS sei doch respektabel. Das stimmt nur nicht. BDS ist strukturell wir methodisch eine antisemitische Bewegung. Dennoch haben wir mit der Resolution sehr viel erreicht. Viele Kulturveranstalter gehen heute sensibler mit der Frage um, ob sie Personen mit BDS-Berührungspunkten einladen sollen oder nicht. Vor dem Beschluss des Bundestags hat man sich solchen Fragen eher selten gestellt. Dass ausgerechnet die Documenta jetzt die notwendige Sensibilität vermissen lässt, ist zwar enttäuschend, aber die Debatte hierzu wird hoffentlich einen besseren Umgang mit der Frage nach sich ziehen.

Mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion sprach Michael Thaidigsmann.

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