Am 7. September wird Carlo Acutis heiliggesprochen, ein mit 15 Jahren gestorbener Italiener. Die Entscheidung ist in einem Aspekt umstritten. Bekannt ist Acutis (1991-2006) unter anderem als »Cyber-Apostel« und »Internet-Patron«, weil er sich neben aller Frömmigkeit auch im Digitalen engagierte. Zudem soll er sich mit »eucharistischen Wundern« beschäftigt haben, also mit unerklärlichen Vorkommnissen in Zusammenhang mit geweihten Hostien.
Zu den Kritikern der Heiligsprechung gehört der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein. Antijüdische Aspekte im Kontext »eucharistischer Wunder« seien bei der Entscheidung der Kirche nicht bedacht worden, meint er.
Herr Klein, warum kritisieren Sie die Heiligsprechung von Carlo Acutis?
Aus einer religiösen Perspektive kann ich diesen Schritt natürlich nicht kommentieren. Ich bemängele, dass es bei dem Verfahren auf dem Weg zur Heiligsprechung keine Rolle gespielt zu haben scheint, dass einige der »eucharistischen Wunder« zur Ermordung von Juden geführt haben. Einige der Wunder, die Acutis zu Lebzeiten als junger Mensch in einem Verzeichnis erstellt hat, drehen sich um Bluthostien. Im historischen Kontext gingen damit Ritualmordvorwürfe gegen Juden einher - und damit verbunden auch tödliche Angriffe auf sie.
Bluthostie bedeutet, dass sich vermeintlich Blut an der Hostie zeigt. Hintergrund soll ein angeblicher Hostienfrevel sein. Dieser, etwa in Form von Diebstahl, wurde in der Geschichte oft Jüdinnen und Juden angelastet, die daraufhin immer wieder Opfer von Gewalt wurden.
Ja. Und es ist dringend geboten, dass dieser Aspekt von den Verantwortlichen in der katholischen Kirche nicht erst auf Nachfrage besprochen und aufgearbeitet wird. Jetzt wäre die Chance, dazu Stellung zu nehmen. Und diese Chance sollte vor dem historischen Hintergrund ganz schrecklicher Gewalttaten gegen Juden nicht leichtfertig verspielt werden. 60 Jahre nach der Vatikan-Erklärung »Nostra aetate« über das Verhältnis der Kirche zum Judentum in diesem Jahr scheint es wieder vermehrt blinde Flecken im Verhältnis zur eigenen antijüdischen Geschichte zu geben.
Wo sehen Sie das christlich-jüdische Gespräch heute? »Nostra aetate« gilt als Start des offiziellen jüdisch-katholischen Dialogs.
Der christlich-jüdische Dialog ist grundsätzlich in den vergangenen Jahren immer sehr stark gewesen, steht aktuell aber ebenso sehr unter Druck. Zwar wurden keine Brücken abgebrochen wie im jüdisch-muslimischen Gespräch, aber es ist schwieriger geworden, zum Beispiel gemeinsame Projekte durchzuführen. Es gibt lange gewachsene Strukturen, aber an größeren Aktionen und Initiativen sehe ich derzeit nichts Neues. Auch sind nach meiner Kenntnis zum 60. Jahrestag von »Nostra aetate« leider keine größeren Veranstaltungen geplant.
Die im Dialog Engagierten sprechen von einer Zäsur durch den 7. Oktober 2023, als die Terrororganisation Hamas Israel überfiel, was den Gaza-Krieg auslöste. Auch wurden Äußerungen des mittlerweile gestorbenen Papstes Franziskus zur Lage im Nahen Osten von jüdischer Seite als einseitige Parteinahme für die Palästinenser kritisiert. Wie bewerten Sie diese Vorgänge?
Der Krieg im Gazastreifen und überhaupt die Spannungen in Nahost dürfen dem christlich-jüdischen Dialog nicht schaden. Ich verstehe, dass sich Papst Franziskus vermittelnd äußern wollte. Es gibt im Gazastreifen Christen, die genauso leiden wie die muslimische Bevölkerung dort. Nur hatte man oft den Eindruck, dass er eben nicht ausgewogen sprach. Hinzu kommt, dass Vertreter jüdischer Organisationen beklagten, im Vatikan nicht hochrangig empfangen worden zu sein - während zeitgleich hochrangige Kontakte zum Iran gepflegt werden, dessen Staatsziel in der Vernichtung Israels besteht.
Was erwarten Sie vom neuen Papst Leo XIV.?
Leo XIV. bringt gute Voraussetzungen mit, den Dialog mit der jüdischen Gemeinschaft weiterzuführen und noch zu intensivieren. Er wurde religiös und politisch in einer Zeit sozialisiert, in der das Zweite Vatikanische Konzil und damit die katholisch-jüdischen Beziehungen mit neuem Leben gefüllt wurden. Gerade in den USA funktioniert dieser Dialog besonders gut. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dessen Einlassungen zum Krieg in Gaza von vielen Jüdinnen und Juden als zunehmend harsch und einseitig wahrgenommen wurden, hat Leo XIV. sich in ersten Kommentaren zum Thema ausgeglichener geäußert. Im Zuge des Todes von Franziskus und der Wahl seines Nachfolgers wurde die Heiligsprechung von Carlo Acutis verschoben - möglicherweise wegen Leos Sensibilität im Kampf gegen Judenfeindlichkeit?
Hat die Stimme Deutschlands nach Ihrer Beobachtung Gewicht?
Was den christlich-jüdischen Dialog angeht, wird auf Deutschland besonders geschaut. Wir werden ernst genommen. Ein besonderes Gewicht hat zum Beispiel das Projekt eines Teams um den Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Es forscht in den vatikanischen Archiven zum Pontifikat von Papst Pius XII. (1939-1958), zu seiner Haltung zum Holocaust und zu Bittschreiben an ihn von Juden in Not. Die Unterstützung aus Deutschland für dieses Projekt wird nach meiner Einschätzung sehr deutlich im Vatikan wahrgenommen.