Verfassungsschutzbericht

»Antisemitismus ist die Klammer, die Extremisten vereint«

Horst Seehofer (r) und Thomas Haldenwang stellten den neuen Verfassungsschutzbericht vor. Auch Haldenwangs Vorgänger Maaßen war Thema bei der Pressekonferenz. Foto: imago images/photothek

Bevor er die wichtigsten Punkte des neuen Verfassungsschutzberichtes vorstellte, machte Thomas Haldenwang eine Vorbemerkung. »Wir mussten wieder einmal in Deutschland erleben, dass vor jüdischen Einrichtungen Gewalt ausgeübt und antisemitische Parolen geschrien wurden, dass israelische Fahnen brannten«, so der Verfassungsschutzchef. »Auffällig war bei den Protesten während des Nahostkonflikts im Mai die Heterogenität der Teilnehmer sowie das hohe und emotionale Aggressionspotenzial. Antisemitismus ist und bleibt eine Klammer, die diverse Extremisten vereint. In Deutschland ist aber kein Platz für Antisemitismus.«

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz war gemeinsam mit seinem Vorgesetzten, Innenminister Horst Seehofer (CSU), in die Bundespressekonferenz gekommen, um den Hauptstadtjournalisten einen Überblick über verfassungsfeindliche Bestrebungen im vergangenen Jahr zu geben.

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In der anschließenden Fragerunde wurde Haldenwang auch auf die jüngste Kontroverse um seinen Amtsvorgänger Hans-Georg Maaßen angesprochen. »Zählen Sie Herrn Maaßen mittlerweile zur Neuen Rechten?«, wurden er und Seehofer gefragt. Schließlich habe auch der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer die Auffassung vertreten, Maaßen verbreite antisemitische Stereotype.

Seehofer, der Maaßen 2018 in den einstweiligen Ruhestand versetzt hatte, wiederholte frühere Statements und sagte, er habe »lange Zeit mit Herrn Maaßen sehr gut zusammengearbeitet« und auch keinerlei Zweifel an dessen demokratischer Gesinnung. Kramers Einschätzung wollte der Innenminister dagegen nicht bewerten. Er werde sich aber in Kürze mit dem Präsidenten des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz zu diesem Thema unterhalten.

MAASSEN Auf Nachfrage des Videobloggers Tilo Jung sagte Haldenwang zunächst, er wolle keinen Kommentar zu Einzelpersonen abgeben. Ohne den Namen seines Vorgängers in den Mund zu nehmen, fügte er dann aber noch an: »Jeder, der sich am Kampf gegen Antisemitismus beteiligt, sollte es vermeiden, Stereotype zu benutzen, die eben auch in bestimmten Kreisen als antisemitisch bekannt sind und wahrgenommen werden.«

Obwohl der Sitzungsleiter der Pressekonferenz schon den nächsten Fragesteller aufgerufen hatte, schob Seehofer noch, an Haldenwang gewandt, die Bemerkung nach: »Sie sagen ja noch lange nicht, dass er die auch benutzt hat. Wenn ich es selber nicht gelesen habe oder die Quelle kenne, würde ich es nicht beurteilen.« Das klang nach sanfter Kritik auf offener Bühne – der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz ging darauf nicht mehr ein, sondern schwieg.

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Ansonsten passte zwischen Seehofer und Haldenwang am Dienstag aber kein Blatt Papier. Die neuesten Zahlen zum Extremismus in Deutschland gäben Anlass zu großer Sorge, waren sich die beiden obersten Verfassungsschützer einig. Sowohl rechtsextreme als auch linksextreme Einstellungen seien im vergangenen Jahr erneut angestiegen, berichten Seehofer und Haldenwang.

GEWALTBEREITSCHAFT Am rechten Rand machte vor allem die Zahl der Gewalttaten einen Sprung nach oben und stieg um zehn Prozent gegenüber 2019 an. Das personelle »Reservoir« im rechtsextremistischen Spektrum wurde von den Verfassungsschützern auf mehr als 33.300 Menschen geschätzt. Auch hier waren es knapp vier Prozent mehr als noch 2019. Zwei Fünftel dieser Menschen seien »gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend oder gewaltbefürwortend« eingestellt, so der Bericht. Ursache dafür sei vor allem die Corona-Pandemie gewesen, sagte Seehofer.

Es gebe nicht nur eine besondere Gesundheitslage, sondern auch eine besondere Sicherheitslage, «die ein dickes Problem ist», sagte der Bundesinnenminister. Die größte Bedrohung für die Sicherheit seien nach wie vor Rechtsextremismus und Antisemitismus, betonte Seehofer.

Die Corona-Pandemie habe dabei sogar zur Verstärkung der Gefahr beigetragen, sagte er. Zahlreiche rechtsextreme Großveranstaltungen seien im vergangenen Jahr abgesagt worden. Dafür hätten sich Rechtsextreme bemüht, über die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung Anschluss an das bürgerliche Spektrum zu finden. Sie hätten dem Protest ihren Stempel aufdrücken können, «obwohl sie von der Personenzahl deutlich in der Minderheit waren», so Seehofer. Er äußerte sich besorgt über die mangelnde Abgrenzung der Mehrheit der Demonstranten gegen mitlaufende Extremisten.

DELEGITIMIERUNG Verfassungsschutzpräsident Haldenwang fügte an: «Extremisten und Terroristen gehen nicht in den Lockdown«. Deren gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Aktivitäten seien einfach weitgehend in die virtuelle Welt verlegt worden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte im April bekannt gegeben, dass es Personen der «Querdenker»-Bewegung, die häufig Anmelderin von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen fungierte, beobachtet.

Die Behörde richtete dafür eigens die Kategorie «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» ein. Begründet wurde der Schritt wegen der Beteiligung einschlägiger Extremisten bei der Bewegung sowie Verbindungen in die Szene der «Reichsbürger». Auch von dieser Gruppe zählen rund 1000 Anhänger zu den Verfassungsfeinden.

Bereits im Mai hatte das Bundeskriminalamt bekanntgegeben, dass 2020 die politisch motivierten Straftaten um 8,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahrs gelegen hätten. Über die Hälfte davon ging auf das Konto von Rechtsextremisten, so das BKA in seinem Jahresbericht.

Auch am anderen Ende des politischen Spektrums verzeichneten die Verfassungsschützer einen Zuwachs: 34.300 Linksextreme gebe es in Deutschland, von ihnen seien knapp 10.000 gewaltbereit. Die islamistische Szene stagnierte laut Bericht 2020. Insgesamt rechnete der Verfassungsschutz knapp 29.000 Menschen diesem Umfeld zu. mth

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