Meinung

Alija-Debatte: Die doppelte Botschaft

Atmen wir einmal tief durch, hören, was gesagt wird, und lesen, was gedruckt steht. Wenn Israels Botschafter in Berlin von Journalisten des »Tagesspiegel« gefragt wird, ob er den Juden in Deutschland eine Auswanderung nach Israel empfehlen würde, beginnt er seine Antwort so: »Jeder Jude ist frei, darüber zu entscheiden, wo er leben möchte.«

Das ist eine eindeutige, eine klare Aussage. Wenn Yakov Hadas-Handelsman in einem zweiten Schritt hinzufügt, dass Israel »als Heimat für alle Juden« natürlich »eine Chance« biete, »im jüdischen Staat Schutz zu finden«, ist daran auch nichts auszusetzen. Ein solcher Hinweis gehört gewissermaßen zur Jobbeschreibung eines israelischen Botschafters und zum Selbstverständnis des jüdischen Staates.

Medien Dabei ist klar: Eine Chance ist eine Chance und keine Pflicht. Wo darin, wie Hadas-Handelsmans Aussagen oft zusammengefasst wurden, ein »Aufruf zur Ausreise« nach Israel (so auf Englisch jeweils bei der Deutschen Welle oder der Jerusalem Post) zu erkennen sein soll oder ein »Umzugsangebot an Juden« (dpa) oder gar, dass der Botschafter Auswanderung »propagiert« (tachles.ch), ist mehr als rätselhaft.

Anders sind die Aussagen des obersten Chefs des Botschafters Hadas-Handelsman zu deuten: Benjamin Netanjahu ruft nämlich ausdrücklich zur Alija auf. Aber auch dies ist keine wirkliche Neuheit. Alle israelischen Regierungen taten dies. Problematisch daran ist der Zeitpunkt. In einem hoch prekären Moment für alle europäischen Juden wird hier die Verunsicherung in jüdischen Gemeinden bewusst angefeuert. Statt der europäischen Diaspora als globale Schutzmacht Unterstützung zu bieten, setzt Israels Regierung auf das Verbreiten von Angst. Das ist keine globale Führung, das ist eine provinzielle Wagenburgmentalität.

Akzent Vor diesem Hintergrund hat sich Hadas-Handelsman angenehm zurückhaltend geäußert. Dass seine differenzierte Botschaft nicht ankommt, ist nicht nur der falschen Akzentsetzung aus Jerusalem geschuldet. Zum einen gibt es zahlreiche jüdische Stimmen in Europa, die Untergangsszenarien auskosten.

Zum anderen hat sich die nichtjüdische Öffentlichkeit derart daran gewöhnt, israelische Amtsträger als Buhmänner und -frauen der internationalen Politik zu betrachten, dass sie nicht einmal merkt, wenn die sich differenziert äußern. Am Ende sind wir alle die Leidtragenden, weil niemand mehr darüber sprechen will, wie wir Antisemitismus bekämpfen sollen.

Der Autor ist Anwalt und Publizist in Berlin.

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  06.05.2025

8. Mai

Deutschland braucht noch Zeit

Auch 80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft sind entscheidende Fragen umstritten: Wer wurde befreit, von wem genau, und was folgt daraus? Ein Gesprächsangebot

von Igor Matviyets  06.05.2025

Essay

Bitburg 1985: Plötzlich waren wieder die Juden schuld

Maram Stern über eine Zeit, als in Deutschland schon einmal versucht wurde, einen Schlussstrich zu ziehen

von Maram Stern  06.05.2025

Studie

Bildungsstätte Anne Frank: NS-Geschichte wird im Netz zum Spiel

Dabei würden falsche Darstellungen und antisemitische Klischees verbreitet

 06.05.2025

Kanzlerwahl

So reagiert das Ausland auf die Wahl-Niederlage von Friedrich Merz

Die Niederlage von Friedrich Merz im ersten Wahlgang überrascht auch die internationalen Medien.

 06.05.2025

Presseschau

»Drama beGermania«: Wie israelische Medien auf die Kanzlerwahl blicken

Auch in Israel wird der Krimi um die im ersten Gang gescheiterte Wahl von Friedrich Merz mit Interesse verfolgt. Ein Überblick

 06.05.2025

Berlin

Friedrich Merz ist Bundeskanzler

Nach der historisch einmaligen Niederlage im ersten Wahlgang wurden die Abgeordneten am Nachmittag zum zweiten Mal an die Urne gerufen

 06.05.2025 Aktualisiert

Reaktionen

Jüdische Stimmen zum gescheiterten ersten Wahlgang

Michel Friedman, Sergey Lagodinsky, Esther Schapira: Wir haben Jüdinnen und Juden aus Politik und Medien nach ihrer Einschätzung gefragt

 06.05.2025

Kommentar

Springt über euren Schatten!

Friedrich Merz ist schwer angezählt. Trotzdem sollten sich im zweiten Wahlgang alle Abgeordneten einen Ruck geben und ihn zum Kanzler wählen. Es geht um die Demokratie

von Michael Thaidigsmann  06.05.2025