Strukturen

»Ärger und Unverständnis«

Zentralratsvizepräsident Josef Schuster über das Verhältnis zu Chabad, Prinzipien der Einheitsgemeinde und Vorbedingungen für weitere Gespräche

von Detlef David Kauschke  05.03.2013 10:14 Uhr

Josef Schuster Foto: Rafael Herlich

Zentralratsvizepräsident Josef Schuster über das Verhältnis zu Chabad, Prinzipien der Einheitsgemeinde und Vorbedingungen für weitere Gespräche

von Detlef David Kauschke  05.03.2013 10:14 Uhr

Herr Schuster, wie ist es derzeit um das Verhältnis zwischen Chabad und dem Zentralrat der Juden bestellt?
Seit über 20 Jahren sind Rabbiner der Chabad-Bewegung in Deutschland tätig, mit Erfolg und teilweise auch mit einem sehr guten Verhältnis zu den jüdischen Gemeinden. Ein Beispiel ist für mich Rabbiner Israel Diskin in München, der eine bemerkenswerte, in die Strukturen der Gemeinde eingebundene Arbeit für die jüdische Gemeinschaft leistet. Es gibt seitens des Zentralrates derzeit Bemühungen, die Arbeit aller Chabad-Rabbiner in die bestehenden Gemeinde- und Zentralratsstrukturen zu integrieren. Diese Gespräche sind aber nicht einfach und leider auch immer wieder durch Rückschläge gekennzeichnet.

Worin unterscheiden sich die Auffassungen konkret?
Die Anzahl der Chabad-Rabbiner hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, was zunächst einmal als positiv zu bewerten ist. Es hat sich jedoch auch als problematisch erwiesen, dass es darunter Rabbiner gibt, die ganz bewusst und gezielt neben den existierenden, dem Zentralrat angehörenden Gemeinden Aktivitäten entwickeln und damit eine Konkurrenzsituation schaffen.

Neben der Orthodoxen Rabbinerkonferenz gibt es jetzt den neu gegründeten Deutschen Rabbinerrat. Ist auch hier eine solche Konkurrenzsituation entstanden?
Das ist eine Entwicklung, die sowohl von mir persönlich als auch vom Zentralrat insgesamt mit sehr großer Sorge betrachtet wird. Es gibt unter dem Dach des Zentralrates zwei Rabbinerorganisationen, die Allgemeine Rabbinerkonferenz, ARK, und die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland, ORD. Die Gründung einer neuen Organisation außerhalb dieser beiden – und somit nicht unter dem Dach des Zentralrats – stellt eine direkte Konkurrenzsituation dar. Nun bestünde darin kein Problem, wenn sich diese neu gegründete Organisation, die sich Deutscher Rabbinerrat nennt, auch als das präsentieren würde, was sie ist: ein Zusammenschluss von Chabad-Rabbinern. Das wäre für alle Beteiligten unkompliziert und eindeutig. Aber was jetzt geschieht, ist zumindest der Versuch, die eigene Herkunft zu verschleiern. Und wenn erklärt wird, dass diese Organisation auch noch anderen orthodoxen Rabbinern offensteht, dann wird die Konkurrenzsituation noch schärfer artikuliert.

Genau das ist öffentlich geworden durch einen im Internet verbreiteten Briefwechsel zwischen dem sefardischen Oberrabbiner Israels, Shlomo Amar, und dem Deutschen Rabbinerrat. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Das Schreiben von Oberrabbiner Amar richtet sich an die ORD und den Chabad-Rabbinerrat und hatte zum Ziel, beide Organisationen wieder unter einem Dach zu vereinen. Es wäre im Sinne einer Stärkung der jüdischen Arbeit, wenn Energien nicht dafür verwendet würden, Grabenkämpfe auszutragen. Wenn jedoch in der Antwort auf den Brief des Rabbinerrates Anschuldigungen gegen die ORD erhoben werden, die das Prinzip der Einheitsgemeinde und auch zum Zentralrat gehörende Gemeinden konkret in Misskredit bringen und sogar deren Vorsitzende beleidigen, dann habe ich dafür kein Verständnis.

Inwiefern ist in dem Brief das Prinzip der Einheitsgemeinde in Misskredit gebracht worden?
Die Einheitsgemeinde ist eine besondere Konstruktion, entstanden aus der Situation Deutschlands nach der Schoa. Als Modell der Einheitsgemeinde kann Frankfurt gelten, wo Gottesdienste verschiedener Ausrichtungen unter einem Dach gefördert und unterstützt werden. Das ist die Ideallösung. Gerade in kleinen oder mittelgroßen Städten gibt es zahlreiche Gemeinden, die im Sinne einer Einheitsgemeinde geführt werden, die meisten im traditionellen Stil. Es gibt auch einige, die für sich entschieden haben, als liberale Gemeinde zu fungieren. Aber auch hier ist in den allermeisten Fällen versucht worden, die traditionell lebenden Mitglieder in diese Struktur mit einzubinden. Im Brief des Rabbinerrates an den Oberrabbiner Israels wird die Einheitsgemeinde allerdings in einer Form dargestellt, die in keiner Weise der Realität entspricht, nämlich als nicht dem Weg der Tora verpflichtet.

Die Chabad-Rabbiner beklagen in dem Brief, dass sie nicht in die ORD aufgenommen werden. Stimmt das?
Die ORD ist nach ihrer Satzung verpflichtet, alle Gemeinderabbiner als ordentliche Mitglieder aufzunehmen. Seitens der ORD wurde mir auch immer wieder versichert, dass alle Rabbiner, die dem orthodoxen Judentum nahestehen, in der Organisation willkommen sind. Nur wenn die Rabbiner keine Gemeinderabbiner sind, haben sie innerhalb der Gremien kein Stimmrecht. Aber dabei geht es nicht um grundsätzliche, insbesondere halachische, Fragen.

Auch die Gründung eines neuen Beit Din in Berlin wurde in dem Brief erwähnt. Wie sieht die Situation hier aus?
Der Zentralrat sieht in den beiden Rabbinatsgerichten, also dem Beit Din der ARK und der ORD, durchaus das Potenzial, den vorhandenen Bedarf zu decken. Beide Rabbinatsgerichte funktionieren gut. Nun muss man noch erwähnen, dass es in Frankfurt bereits ein weiteres Beit Din gibt. Zu meinem Bedauern ist es nicht gelungen, dieses in die eigenen Strukturen einzubauen. Das wäre aber wünschenswert gewesen. Die Schaffung eines dritten Beit Din in Berlin halte ich nicht für zwingend notwendig. Es tagt im Chabad-Haus und wurde initiiert durch den Chabad-Rabbiner Yehuda Teichtal. Auch hier gilt: Man sollte doch wenigstens Ross und Reiter nennen.

In dem Briefwechsel geht es auch um die Errichtung von multireligiösen Schulen, wie jetzt in Osnabrück.
Auch das ist seitens des Rabbinerrates eine absolut unsachliche Kritik. In Osnabrück hat die Gemeinde aufgrund der geringen Anzahl an Kindern nicht die Möglichkeit, eine eigene jüdische Schule einzurichten. Die gleiche Situation findet sich in vielen Gemeinden. Nun hat man dort den Weg gewählt, mit einer Schule eine Kooperation einzugehen, die den Schülern verschiedener Religionen unter einem Dach die Möglichkeit bietet, ihre eigene Religion zu leben. Die Alternative wäre, die Kinder in eine ganz normale Schule zu schicken. Im ersten Fall erhalten sie aber nicht nur koschere Verpflegung, sondern vor allem mehr jüdisches Wissen als in anderen kleineren Gemeinden, wo es nur den Religionsunterricht am Nachmittag gibt. So ist die Situation beispielsweise auch in meiner eigenen Gemeinde in Würzburg. Den eben beschriebenen Weg zu gehen, ist eine Entscheidung, die jede Gemeinde für sich treffen muss. Das ist etwas, was man aber nicht von vornherein verdammen sollte.

Wie beurteilen Sie die Auseinandersetzungen zwischen den Rabbinern unterschiedlicher orthodoxer Lager?
Ich bedauere diese zutiefst. Die Rabbiner, gleichgültig, ob sie jetzt in der ORD zusammengeschlossen sind oder der Chabad-Bewegung angehören, haben eine Aufgabenvielfalt und sollten genug damit zu tun haben, sich um die Menschen in den Gemeinden zu kümmern.

Wie kann man jetzt zu einer gemeinsamen Linie zurückfinden?
Der Versuch, wieder eine gemeinsame Linie unter den in Deutschland tätigen orthodoxen Rabbinern zu finden, wurde vom Zentralrat unternommen und dann zunächst durch die Gründung des Deutschen Rabbinerrates konterkariert. Der Zentralrat hat seinen Ärger und sein Unverständnis über den vorerwähnten Brief des Rabbinerrates Chabad gegenüber sehr klar zum Ausdruck gebracht. Es liegt nun in der Hand von Chabad, die eventuell vorhandenen Missverständnisse auszuräumen und für das zu sorgen, wofür die Organisation selbst geworben hat: Vertrauen. Ein derartiges Schreiben ist nicht gerade das, was man als vertrauensbildende Maßnahme bezeichnen kann.

Werden die Gespräche dennoch fortgesetzt?
Seitens der Chabad-Rabbiner wurde zugesagt, dass der Versuch unternommen wird, eine gemeinsame Linie mit den anderen orthodoxen Rabbinern zu finden. Inwieweit ich diesen Worten nach Bekanntwerden dieses Briefwechsels jetzt noch vertrauen kann, weiß ich nicht. Zudem kam es zur Gründung des Chabad-Rabbinerrates, nachdem es Gespräche gegeben hat, bei denen der Zentralrat klargemacht hat, welches das richtige Vorgehen im Sinne der jüdischen Gemeinschaft wäre. Ich habe ein Problem, solche Gespräche unter diesen Umständen fortzuführen. Es gibt die Möglichkeit, unter dem Dach des Zentralrats den richtigen Weg zu suchen. Der Zentralrat versteht sich als Vertretung sämtlicher religiöser Strömungen. Er ist aber nicht dazu bereit, alle um buchstäblich jeden Preis aufzunehmen.

Chabad Lubawitsch ist eine chassidische Gruppierung innerhalb des orthodoxen Judentums. In Deutschland ist die Organisation mit 25 Rabbinern in 15 Städten vertreten, darunter in Berlin, Dresden, Frankfurt, Hamburg und Ulm. 1989 wurde in München das erste Chabad-Haus Deutschlands gegründet.

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