Meinung

Warum Israel auf eine Bodenoffensive verzichten sollte

Terrorexperte Peter R. Neumann Foto: Laurence Chaperon

Israels militärischer Erfolg steht außer Frage.

Der jüdische Staat hat seinen wahrscheinlich gefährlichsten Gegner, die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah, praktisch besiegt. Niemand hätte das vor ein paar Wochen für möglich gehalten. Neben Generalsekretär Hassan Nasrallah wurden fast die gesamte Führungsriege und viele Anführer der Radwan-Spezialeinheiten getötet. Ein Großteil des »mittleren Managements« der Hisbollah ist ebenfalls tot oder kampfunfähig.

Hinzu kommt: Das Kommunikationssystem der Gruppe liegt nach den Pager-Angriffen komplett darnieder. Ein großer Teil des riesigen Raketenarsenals der Hisbollah ist zerstört, die Produktion weiterer Raketen vorerst gestoppt.

Die einst so mächtige, stolze und in großen Teilen des Nahen Ostens bewunderte Terrormiliz ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Es wird Jahre dauern, bis sie sich davon erholt. Der größte Schaden ist dabei nicht materiell, sondern psychologisch: Israel hat die Hisbollah nicht nur zerstört, sondern gedemütigt.

Lesen Sie auch

Für Israel muss die Versuchung groß sein, genau zu diesem Zeitpunkt die lang erwartete Bodenoffensive im Süden des Libanons zu starten. Im Unterschied zu 2006, als man sich bei einer ähnlichen Bodenoffensive eine blutige Nase holte, ist die Hisbollah diesmal so schwach, dass sie dem israelischen Militär wenig entgegenzusetzen hätte. 

Dennoch wäre es klug, von der offenbar geplanten Bodenoffensive abzulassen. Israel sollte vielmehr seine Position der Stärke dafür nutzen, einen für sich vorteilhaften Waffenstillstand zu erreichen. Die Chancen dafür sind besser als je zuvor.

2006 holte Israel sich eine »blutige Nase«

Auf diese Weise könnte man am besten das zentrale Ziel der israelischen Kampagne erreichen, nämlich die Hisbollah aus der Grenzregion bis hinter den strategisch bedeutenden Litani-Fluss zurückzudrängen. Der Norden Israels, aus dem im letzten Jahr 80.000 Menschen fliehen mussten, würde dadurch wieder bewohnbar. Ein Großteil der Hisbollah-Raketen könnte das Land nicht mehr erreichen, und Geschosse mit längerer Reichweite wären leichter abzufangen.

Klar ist: Für viele Israelis wäre eine Bodenoffensive die logische Konsequenz dessen, was sich das Land in den letzten Wochen militärisch erarbeitet hat, auch gegen zum Teil massive Kritik seiner Verbündeten. Aber wenn Israel jetzt im Libanon mit Bodentruppen einmarschiert, würde es automatisch zur Besatzungsmacht. Denn Proxys oder lokale »Stellvertreter« – wie einst die von Israel unterstützte südlibanesische Armee – gibt es diesmal nicht. Israels Gegnern fiele es unter diesen Vorausetzungen leicht, den »Widerstand« neu zu mobilisieren.

Lesen Sie auch

Sogar Libanesen, die sich über die Niederlage der Hisbollah insgeheim freuen, würden sich gegen den »Feind von außen« solidarisieren. Der Iran und seine Alliierten hätten eine Ausrede, den militärischen und politischen Druck auf Israel weiter zu erhöhen, und der Westen fände es noch schwerer, Israel zu unterstützen.

Militärische Überlegenheit in strategischen Sieg verwandeln

Mit anderen Worten: Der militärische Vorteil, den Israel momentan genießt, wäre innerhalb kurzer Zeit verbraucht. Und Israel wäre im Ergebnis nicht sicherer, sondern befände sich in einer militärischen und strategischen Zwickmühle.

Was ist die Alternative? Meines Erachtens sollte Israel seine aktuelle Stärke und die massive Drohkulisse einer möglichen Bodenoffensive nutzen, um einen Waffenstillstand herbeizuführen und die Hisbollah dauerhaft und auf diplomatischen Wegen zurückzudrängen.

Der libanesische Premierminister hat am Montag bereits ein dementsprechendes Angebot gemacht. Der Westen und speziell die USA würde einen solchen Deal mit voller Kraft unterstützen. Und selbst die Gegner Israels sähen angesichts der Schwäche der Hisbollah darin wahrscheinlich das kleinere Übel.

Nicht zuletzt hätte Israel auch das Völkerrecht auf seiner Seite, denn der Rückzug der Hisbollah aus dem Süden Libanons ist seit 2006 in UN-Sicherheitsratsresolution 1701 festgeschrieben

Warum sollte Israel diese Gelegenheit nicht zumindest ausloten? Meiner Meinung nach wäre es der einfachste und aus Israels Sicht »günstigste« Weg, seine aktuelle militärische Überlegenheit in einen strategischen Sieg zu verwandeln. Am wichtigsten: Er böte eine Chance für dauerhafte Sicherheit für die Menschen im Norden Israels.

Der Autor ist Professor für Sicherheitsstudien am Londoner King’s College. Im September erschien bei Rowohlt Berlin sein neues Buch, »Die Rückkehr des Terrors«.

Tel Aviv

Angehörige von Hamas-Geiseln fordern Waffenruhe

Die Mutter einer israelischen Geisel wirft Regierungschef Netanjahu vor, er verurteile mit der geplanten Einnahme der Stadt Gaza die Geiseln zum Tode. Dieser verweist auf die laufenden Verhandlungen und notwendigen militärischen Druck

 23.08.2025

Krieg

Für Geisel-Rettung: Benny Gantz ruft zu Eintritt in Netanjahu-Regierung auf

Der Ex-Verteidigungsminister hatte Netanjahus Regierung 2024 verlassen. Nun fordert er andere Oppositionspolitiker dazu auf, sich ihr mit ihm gemeinsam für ein halbes Jahr wieder anzuschließen

von Sara Lemel  23.08.2025

Vorwürfe

»Es gibt keine Hungersnot in Gaza. Es gibt keine Politik des Aushungerns«

Israel weist die Erklärung einer Hungersnot in Teilen des Gazastreifens zurück. Regierungschef Netanjahu bezeichnet gegenteilige Berichte als Lüge

von Eva Krafczyk  22.08.2025

Meinung

Embargo gegen Israel: Merz´ gefährliche Botschaft

Die Bundesregierung hat ein Exportverbot für Waffen an Israel verhängt und sendet damit fatale Signale: An Israel, an die Hamas und deren Unterstützer - und an die Juden in Deutschland

von Remko Leemhuis  22.08.2025

Nahost

Welthunger-Monitor erklärt Hungersnot in Gaza - COGAT widerspricht scharf

Die Hintergründe

von Imanuel Marcus  22.08.2025

Jerusalem

Israel verweigert Barcelonas Bürgermeister die Einreise

Hintergrund sind Entscheidungen des Stadtrates der katalanischen Hauptstadt, unter anderem die Städtepartnerschaft mit Tel Aviv zu beenden

 22.08.2025

Jerusalem

Westjordanland: Mike Huckabee betont Israels Entscheidungsfreiheit

Es sei kein Völkerrechtsverstoß, »wenn Israelis in Judäa und Samaria leben«, sagt der amerikanische Botschafter in Israel

 22.08.2025

Medien

Fiktion statt Fakten

Matti Friedman hat viele Jahre für die Nachrichtenagentur AP berichtet. Der Journalist kennt die Probleme der Gaza-Berichterstattung aus erster Hand

von Gunda Trepp  22.08.2025

Berlin

Nouripour: Stopp von Waffenexporten an Israel »kurzsichtig«

Nicht nur in der Union gibt es Kritik an der Entscheidung des Kanzlers, Rüstungslieferungen an Israel einzuschränken. Ein prominenter Grünen-Politiker verweist auf gegenseitige Abhängigkeiten

 22.08.2025