Kommentar

Vor den Messern der Islamisten sind wir alle gleich

Autorin Dastan Jasim Foto: Daniel Prawetz

Während alle in diesen Tagen auf Damaskus schauen, und sich zu Recht freuen, dass Assad nun offiziell gestürzt ist, blicken viele Kurd*innen und Angehörige anderer Minderheiten Syriens mit gemischten Gefühlen auf die Entwicklungen. Einerseits ist es unfassbar, nach so langer Zeit nun final aus dem Horror der arabischen Nationalisten der Baath-Partei erlöst zu sein. Andererseits gelang dieser Coup vor allem islamistischen Kräften wie der Hayat Tahrir al-Sham und der Syrischen Nationalen Armee, die beide massiv durch die Türkei unterstützt werden und gerade für Angst und Schrecken in den kurdischen Gebieten im Norden des Landes sorgen.

Als das Grauen vor rund einer Woche begann, fuhr ich gerade zur Vorführung eines Films, der die sexuelle Gewalt der Hamas dokumentiert. Ich bin Konfliktforscherin, und sollte später auf dem Podium sprechen. »Screams before Silence«, hieß die Doku.

Doch plötzlich drangen die Schreie auch aus meinem Handy: Zum ersten Mal konnten die tausenden Kurd*innen, die vor den türkisch finanzierten Schergen aus dem Raum Aleppo geflohen waren, und nun in dem autonomen kurdischen Gebiet in Nordostsyrien ankamen, nach Tagen der Isolation berichten, was ihnen widerfahren ist.

Ein Familienvater erzählte, dass er mit seinem Sohn nach Hause rannte, als der Vormarsch begann – und sie die Mutter geköpft im Wohnzimmer vorfanden. Ich hörte ihm zu und sah seine Mimik, die Sprache des Schocks. Erinnerungen an den 7. Oktober schossen in meinen Kopf und direkt in meine Brust. Auch an die brutale Niederschlagung der Revolution im Iran und den Genozid des IS an den Jesid*innen musste ich denken. 

Um mich von den grausamen Bildern abzulenken, öffnete ich eine andere App. Dort las ich den langen Post eines deutschen Intellektuellen, der die sich zuspitzende Situation in Syrien zu erklären versuchte. Er schrieb, dass man ja jetzt nicht einfach von »den Kurden« reden dürfe, da es viele verschiedene politische Fraktionen unter ihnen gebe.

»Siehst du Dastan«, dachte ich mir. Er wird nie verstehen, wie gleich wir vor den Messern der Islamisten sind. Ideologisierte Kämpfer und Terroristen machen keine Unterschiede: Oder wurden israelische Familien, die sich seit Jahren für einen Frieden mit den Palästinensern einsetzen, beim Massaker der Hamas etwa verschont? 

Wenn ich mit Menschen wie diesem deutschen Intellektuellen spreche, angebliche Nahost-Experten, die nicht verstehen, wie sich eine kollektive Bedrohung des eigenen Volkes anfühlt, packe ich meine Wut und das Trauma weg. Zu oft habe ich persönliche Erfahrungen geteilt und in leere Augen geblickt. Serviere ihnen die harten Fakten kalt, sonst essen sie sie nicht – das habe ich in Deutschland gelernt.

Lesen Sie auch

Bevor ich auf dem Panel sprach, kauerte ich mich noch kurz ins Hotelbett. Etwas Ruhe. Überraschend klopfte meine jüdische Mitpanelistin an. Rosa Jellinek kam vorbei, um mir ihre Solidarität auszusprechen. Ich musste nichts erklären, denn sie wusste schon, was Sache ist. Wir weinten, lachten, redeten, diskutierten, später konnten wir uns auf den Film einlassen, Trauer zeigen.

Kein Funke Kitsch, einfach nur der Umgang von Menschen miteinander, die wissen, was Genozid und Vernichtung bedeutet. Die an Kritik nicht sparen, die konkret benennen, was passiert und wer was tut – und für ihre Haltung einstehen.

Es braucht diese Allianzen, ob jüdisch-kurdisch oder mit anderen betroffenen Gruppen, denn sie brechen mit dem unsere Erfahrungen und Existenzen negierenden Konsens, der zum Thema Nahost gerade herrscht.

Die Autorin ist kurdische Aktivistin und Konfliktforscherin.

Sexualisierte Gewalt

Ex-Geisel: »Ich dachte, ich werde für immer ihre Sexsklavin sein«

Fast ein Jahr nach ihrer Freilassung spricht die junge Israelin Romi Gonen zum ersten Mal über ihre zutiefst verstörenden Erlebnisse in Gaza

von Sabine Brandes  26.12.2025

Israel

Zwei Tote bei Terrorangriff mit Auto und Messer

Palästinenser rammte Passanten mit seinem Auto und stach auf Frau ein – ein Sicherheitsmann schoss auf den Attentäter und verletzte ihn

 26.12.2025

Israel

Winterwarnungen und das Warten auf Schnee

Am Samstag zieht ein stärkeres Tiefdruckgebiet auf, begleitet von Starkregen, starken Winden und spürbarer Kälte

von Sabine Brandes  26.12.2025

Gazastreifen

Erneut tödlicher Zwischenfall

Israels Armee: Zwei Terroristen wurden getötet, die eine »unmittelbare Bedrohung« dargestellt hätten

 26.12.2025

ANU-Museum Tel Aviv

Jüdische Kultobjekte unterm Hammer

Stan Lees Autogramm, Herzls Foto, das Programm von Bernsteins erstem Israel-Konzert und viele andere Originale werden in diesen Tagen versteigert

von Sabine Brandes  25.12.2025

Sicherheit

Katz sagt erneut, Israel werde nicht komplett aus Gaza abziehen

Nach Kritik nach ähnlichen Äußerungen war der Verteidigungsminister zunächst zurückgerudert. Nun erklärt er: »Ich lege nie den Rückwärtsgang ein«

 25.12.2025

Israel

US-Botschafter: Iran zieht falsche Lehren aus Angriffen auf Atomanlagen

»Ich hoffe, sie haben die Botschaft verstanden, aber offenbar haben sie sie nicht vollständig verstanden«, sagte Mike Huckabee

 25.12.2025 Aktualisiert

Spionage-Verdacht in Israel

Ex-Premier Bennett im Visier des Iran

Ein israelischer Staatsbüger soll den einstigen Ministerpräsidenten Naftali Bennett ausspioniert haben. Dem Verdächtigen steht eine Anklage bevor

von Sabine Brandes  25.12.2025

Israel

Regierung will Waffenproduktion des Landes ausbauen

Laut Premier Netanjahu ist dafür eine Summe von 93 Milliarden Euro vorgesehen – Lehre aus Rüstungsbeschränkungen verbündeter Staaten

 25.12.2025