Leonard Kaminski

Paris, schau nach Bordeaux!

Echtes Selbstbewusstsein entsteht auch durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit

von Leonard Kaminski  14.01.2021 09:13 Uhr

Echtes Selbstbewusstsein entsteht auch durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit

von Leonard Kaminski  14.01.2021 09:13 Uhr

Paris hat ein großes Selbstbewusstsein. Ein gutes Beispiel ist der Slogan des Fußballklubs PSG: »Ici, c’est Paris«, das hier ist Paris. Als Pariser muss man Gegner weder beleidigen noch eigene Vorzüge betonen. Um Respekt einzuflößen, reicht die Feststellung, dass man in Paris sei.

In meinen zweieinhalb Jahren dort habe ich das Pariser Selbstverständnis, im Vergleich zu anderen Franzosen und überhaupt allen auf der Welt etwas ganz Besonderes zu sein, lieben gelernt.

stadtbild Aber wie jede Eigenschaft treibt auch dieses Selbstbewusstsein manchmal Blüten, die nicht zu rechtfertigen sind. Wie nun bekannt wurde, weigert sich die Stadtregierung, Gehwege für Stolpersteine in Erinnerung an Holocaustopfer freizugeben. »Das passt nicht ins Stadtbild«, hätte ich als eine für Paris typische Begründung erwartet.

Tatsächlich ist es aber eine andere: Es sind nicht genügend französische Juden umgebracht worden, um an sie zu erinnern. Da 75 Prozent der jüdischen Franzosen die Schoa überlebt haben, würden Stolpersteine laut Rathaus die Geschichte falsch darstellen.

Da 75 Prozent der jüdischen Franzosen die Schoa überlebt haben, würden Stolpersteine laut Rathaus die Geschichte falsch darstellen.

Damit übersieht die Stadt den Sinn der Steine. Mit ihnen werden Schicksale einzelner Menschen, die vernichtet und vertrieben wurden, einem breiten Publikum zugänglich gemacht. »Nur« ein Viertel getötete Juden in einem von Deutschland besetzten Land ist eine vergleichsweise geringe »Vernichtungsquote«.

Es wurden dennoch fast 75.000 französische Juden vergast. Viele trieb die Pariser Polizei bereitwillig vor der Deportation zusammen. Auch Juden, die überlebt haben, fehlen nach Vertreibung und Flucht im heutigen Paris, das sie historisch geprägt hatten. Sollen sie vergessen werden?

EXZEPTIONALISMUS Hier ist weniger Exzeptionalismus gefordert. Paris sollte sich ausnahmsweise an die Gepflogenheiten, die im restlichen Frankreich gelten, anpassen. In Bordeaux, Straßburg und anderen Städten wurden in den vergangenen Jahren Stolpersteine verlegt.

Echtes Selbstbewusstsein entsteht auch durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Die ist in Paris oft glorreich, erfolgreich und schön – aber eben leider nicht immer.

Der Autor ist Politikberater in Berlin.

Meinung

Steinmeier auf Kuschelkurs mit einem Terrorfreund

Der Bundespräsident untergräbt mit seiner Schmeichelei gegenüber Recep Tayyip Erdogan einmal mehr Deutschlands Staatsräson

von Nils Kottmann  26.04.2024

Nils Kottmann

Israels Existenzrecht ist keine Provokation, sondern Staatsräson, Frau Özoğuz

Noch während Iran den jüdischen Staat attackierte, gab die Bundestagsvizepräsidentin (SPD) bereits Israel die Schuld an dem Angriff auf seine Bürger

von Nils Kottmann  25.04.2024

Michael Thaidigsmann

Die UNRWA-Prüfung hat keine Konsequenzen

Der Prüfbericht liegt vor, Berlin nimmt seine Förderung des Palästinenserhilfswerks wieder auf. Das könnte sich noch rächen

von Michael Thaidigsmann  25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Erinnert euch an Ägypten

Die wenigsten ägyptischen Juden haben ihre Heimat aus religiöser Sehnsucht verlassen – sie wurden vertrieben

von Mascha Malburg  22.04.2024

Meinung

Gezielte Aktionen gegen das iranische Regime werden weitergehen müssen

Warum Teheran nicht nur eine Gefahr für die Region, sondern auch für die Ukraine ist

von Saba Farzan  19.04.2024

Meinung

Den Ball flach halten

Warum die israelische Antwort auf den iranischen Angriff vom vergangenen Wochenende eher verhalten ausgefallen ist

von Ralf Balke  19.04.2024

Thüringen

Die Betroffenen nicht im Stich lassen

Es braucht den langfristigen Ausbau der fachspezifischen Gewaltopferberatungsstellen

von Franz Zobel  17.04.2024

Frederik Schindler

Zeit für eine neue deutsche Iran-Politik

Deutschland sollte das Mullah-Regime nicht länger hofieren, sondern unter Druck setzen

von Frederik Schindler  17.04.2024