»Darkness will fade. All the pain will go by. But we will stay«, singt Yuval Raphael am Donnerstagabend vor 12.500 Menschen in der Basler St. Jakobshalle. Im Anschluss an ihren Auftritt erntet sie vom Publikum tosenden Applaus. Die Buhrufe werden für einen Augenblick übertönt von einer kraftvollen Performance und einer noch stärkeren Yuval Raphael.
In den drei Minuten ihres Auftritts beim Halbfinale des Eurovision Song Contest (ESC) erzählt die israelische Sängerin nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern sie steht mit ihrer ganzen Präsenz für die Resilienz eines Menschen, der das Unmenschlichste über sich ergehen lassen musste – und überlebt hat.
»Drei Stunden haben wir uns durchgetanzt, bis der Albtraum anfing«
Yuval Raphael hatte am 6. Oktober 2023 mit ihren Freunden das Nova-Festival in Re’im besucht. »Drei Stunden haben wir uns durchgetanzt, bis der Albtraum anfing«, erzählte sie am 18. Dezember des Jahres bei einer »Never again is now«-Kundgebung in Zürich. Dabei kämpfte sie permanent gegen die Tränen an, musste ihre Rede immer wieder unterbrechen, weil ihr sonst die Stimme weggebrochen wäre.
Zusammen mit 40 anderen jungen Menschen versteckte sie sich am 7. Oktober während des brutalen Überfalls der Hamas-Terroristen in einem Bunker am Straßenrand. Als es der knapp 23-Jährigen schließlich gelungen war, mit ihrem Vater Kontakt aufzunehmen, gab er ihr den Ratschlag: »Stell dich tot.« Und Yuval Raphael, die lebenslustige junge Frau, die mit ihren Freundinnen monatelang auf dieses Festival gewartet hatte, dessen »Farben und Lichter magisch waren«, befolgte den Rat des Vaters.
Nach vier Stunden, gefangen zwischen Leben und Tod, vier grausamen Stunden des Ausharrens, in denen sie zusehen musste, wie die Menschen um sie herum ermordet wurden, konnte sie mit zehn anderen dem Horror entkommen, »nicht wissend, ob unsere Rettung nur eine Falle war, bevor auch wir getötet werden«. Aber Yuval Raphael lebte, überlebte.
Ihre Stimme bricht an diesem Abend nicht weg, Yuval Raphael kämpft nicht.
Und jetzt, 19 Monate später, steht die 24-jährige Frau aus Ra’anana auf der größten Musikbühne der Welt. Ihre Stimme bricht an diesem Abend nicht weg, Yuval Raphael kämpft nicht. Mit so viel Festigkeit, wie ihr nur möglich ist, singt sie beim Halbfinale des ESC den hymnischen Song »New Day Will Rise« aus der Feder der israelischen Songwriterin Keren Peles. Raphael lässt sich nicht aus der Ruhe bringen – den Kritikern und Protestierenden, die sie im übertragenen Sinn von der Bühne zerren wollen, zum Trotz. Der Bühne, die ihr so sehr zusteht.
Bereits der Versuch, die Sängerin mit Trillerpfeifen am Donnerstagnachmittag bei der Generalprobe bloßzustellen, war widerwärtig. Doch noch viel schlimmer sind all die lauten, schrillen Stimmen weltweit, die in den vergangenen Tagen und Wochen dafür plädiert haben, Israel vom Wettbewerb in Basel auszuschließen. Dieser Akt des Boykotts ergibt keinen Sinn.
Ein Mensch, dem das Unmenschlichste angetan wurde
Yuval Raphael, ein Mensch, dem das Unmenschlichste angetan wurde, steht für Israel, ihr Land, das sie stolz machen möchte. Das bekräftigte sie vor dem Song Contest in einem Interview. Sie steht nicht für die Regierung Israels, und sie ist noch viel weniger verantwortlich für den Krieg, in dem sich das Land im Kampf gegen den Terror der Hamas befindet. Diese junge Frau ist vielmehr das Opfer dieses menschenverachtenden Terrors. Die Forderung, Israel vom ESC zu verbannen und sie damit zur Täterin abzustempeln, ist nichts anderes als die Legitimierung dessen.
Die 24-jährige Israelin begegnet den zerstörerischen Kräften mit einer enormen Stärke und Resilienz. Indem sie allen Widerständen zum Trotz vor einem Millionenpublikum zu singen beginnt, beweist sie, dass es nur eine Möglichkeit gibt, dem Terror zu begegnen: indem man sich ihm gemeinsam und mit aller Kraft entgegenstellt.
Immer wieder wird über die Frage diskutiert, wie politisch der ESC sein darf. Der Wettbewerb wurde in den Nachkriegsjahren ins Leben gerufen, um die Musik zu feiern. Aber auch, um gemeinsame menschliche Werte nach außen zu tragen. Wenige Jahre vor seiner Gründung lag Europa in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs. Vor diesem Hintergrund wird eines deutlich: Der ESC steht nicht nur für die Musik, die das Publikum je nach Darbietung mal mehr, mal weniger ansprechen mag. Der Wettbewerb steht vor allem dafür, unsere gesellschaftlichen Werte gegen Unmenschlichkeit und Barbarei zu verteidigen.
Yuval Raphael verkörpert genau dies – mit ihrer Geschichte und ihrer Präsenz. Und so könnte es nicht richtiger und aufrichtiger sein, wenn sie am Samstagabend in Basel noch einmal singt: »Everyone cries. Don’t cry alone.«