Meinung

Der Fall Fabian Wolff und das große Versagen von »Zeit Online«

Foto: picture alliance / Wolfram Steinberg

Erinnert sich noch jemand an den Fall Relotius? Bis 2018 war der gleichnamige Journalist vor allem für das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« tätig und hatte Reportagen geschrieben, für die es zahlreiche Preise gab. Seine Texte wurden gefeiert und er galt als das, was manche wohl eine »Edelfeder« nennen würden.

Dann kam die große Überraschung. Recherchen eines skeptischen »Spiegel-Kollegen« brachten ans Tageslicht, dass die eine oder andere Geschichte frei erfunden war. »Der Spiegel« arbeitete die Sache gründlich auf und bat öffentlich um Entschuldigung – kurzum, das Nachrichtenmagazin hat aus dem Skandal gelernt und Konsequenzen gezogen.

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Genau diese Haltung hätte man sich von »Zeit Online« nun im Fall von Fabian Wolff gewünscht. Auch er hatte über Jahre hinweg munter gelogen. Gewiss, Fabian Wolff erfand keine Reportagen oder Interviews, dafür aber eine Person, und zwar sich selbst als jüdischen Publizisten.

»Zeit Online« hatte ihn seinen Lesern zudem immer wieder als authentische jüdische Stimme zu Wort kommen lassen, wenn »Kritisches« zu Israel oder der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance gefragt war. Vor einigen Tagen dann die Flucht nach vorn und Fabian Wolff erklärte, dass es mit seinem Jüdischsein, nun ja, ein wenig hapere.

Doch statt spätestens jetzt den Stecker zu ziehen und zuzugeben, dass man einem Schwindler aufgesessen war, und zu überlegen, was da alles schief laufen konnte, bot »Zeit Online« Fabian Wolff erneut ein Forum. Der Publizist durfte dort einen schier endlos langen Text über seine »Identität« veröffentlichen, der alles Mögliche enthielt, nur eben keine Entschuldigung für seine über Jahre hinweg gepflegte Legende vom kritischen jüdischen Publizisten, der die Fahne hochgehalten hat gegen den jüdischen Mainstream oder die Israel-Lobby. 

All das wirft Fragen auf, und zwar die nach einer Verantwortung gegenüber den Lesern, denen man einen Autor präsentiert, der erwiesenermaßen ein Scharlatan ist.

All das wirft Fragen auf, und zwar die nach einer Verantwortung gegenüber den Lesern, denen man einen Autor präsentiert hat und weiterhin präsentiert, der erwiesenermaßen ein Scharlatan und Betrüger ist. Denn die alten Texte von Fabian Wolff wurden nicht etwa aus dem Netz genommen, sondern lediglich mit folgendem Hinweis versehen: »Der Autor hat im Jahr 2023, nach Erscheinen dieses Artikels, seine Familiengeschichte recherchiert. Aus seinen Nachforschungen geht hervor, dass er nicht aus einer jüdischen Familie stammt.« Es folgt ein Link zu dem aktuellen Bekenntnis-Text.

Das liest sich so, als ob Fabian Wolff selbst ein wenig überrascht gewesen ist, doch kein Jude zu sein. Von einer Aufarbeitung dessen, was da geschehen ist, will man in der Redaktion offenbar nichts wissen. Stattdessen lässt ihn »Zeit Online« einfach noch einmal schreiben – wohlwissend, dass so reichlich Aufmerksamkeit generiert und Aufrufe erzeugt werden.

So etwas hinterlässt einen unangenehmen Beigeschmack, nichts zuletzt deshalb, weil journalistische Standards bei »Zeit Online« ein anderes Gewicht zu haben scheinen, wenn es um Juden oder Israel geht. Dann zählen auch weiterhin die Worte eines Schwindlers.

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