»Crisis in Six Scenes«

Zweieinhalb Stunden Verweigerung

Miley und Woody Foto: pr

Jedes Jahr dreht Woody Allen einen Film und sein Werk ist im Zuge dieser konstant-seriellen Produktion zu einem eigenen Genre geworden. Amazon Video ging wohl davon aus, dass das filmische Universum Allens sich ohne Weiteres in ein Fernsehformat übertragen ließe, schlug eine Kooperation vor und traktierte den Regisseur, bis der aufgab und einwilligte.

In einem Interview in Cannes tat Woody Allen kund, was er von dem Projekt hält. Als die Anfrage von Amazon kam, habe er zunächst abgelehnt. »Ich hab’ es denen immer wieder gesagt, ich habe keine Ideen, ich schaue kein Fernsehen.« Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Filmemacher im Vorfeld verkündet, er habe eigentlich keine Lust.

Es wird also nicht verwundern: Die Serie Crisis in Six Scenes ist gescheitert. Die Plotprämisse ist noch recht hübsch. Woody Allen spielt Sidney Munsinger, einen alt gewordenen Autor, der sein Geld mit Werbespots verdient. In sein behagliches Leben am Stadtrand von New York bricht die Politaktivistin Lennie Dale (Miley Cyrus) ein, die unter anderem den Buchklub von Sidneys Ehefrau (Elaine May) mit Zitaten von – wir schreiben die späten 60er-Jahre – Frantz Fanon und Mao aufmischt. Lennie wird polizeilich gesucht, die Munsingers nehmen sie trotzdem bei sich auf, unter vergeblichem Protest von Sidney, den Allen ein weiteres Mal als nervösen, hypochondrischen Intellektuellen spielt.

New York
Vom ersten Bild an ist man in vertrautem Gelände: das New Yorker Bürgertum, das über Psychoanalyse diskutiert, die junge Frau, die in eine Familie kommt und dort für amouröse Verwirrungen sorgt, die Jazzmusik. Man sieht jeder Szene an, was sie wohl im Sinne hat. Doch man spürt, wie nahezu jede am Timing scheitert. Die Dialoge mäandern träge und laufen auf One-Liner zu, die nicht wirklich zünden.

Interessant wird es, wenn man Crisis in Six Scenes auf verborgene Selbstreferenzialität abklopft. In der ersten Szene beklagt sich sein Friseur über Sidneys letztes Buch; er sei eingeschlafen beim Lesen. Sidney rechtfertigt sich, er mache jetzt eh Fernsehen, das bringe mehr ein. Der Friseur ermutigt ihn, er solle darauf achten, dass »das Ganze nicht so inkonsistent wird« wie die Romane. Später versucht Sidney, einem TV-Sender eine Sitcom anzudrehen. Vergeblich, die Idee ist einfach zu bescheuert.

Nimmt man diese Verweise der Serie auf das eigene Schicksal ernst, dann bekommt Crisis in Six Scenes einen leise subversiven Beigeschmack: als Statement eines 81-jährigen Kinomenschen, der das Format Fernsehserie für Quatsch hält und sich deren Anforderungen ans Tempo und dem Prinzip Cliffhanger komplett verweigert. »Ich halte meinen Adrenalinspiegel gerne ausgepegelt«, erklärt Sidney, und man kann das als Ansage gegen den eng getakteten Erzählrhythmus aktueller Serienproduktionen verstehen.

Gefühlt 60 Prozent der Witze haben mit Hörgeräten und sonstigen Altersmalaisen zu tun. So kann man sich wenigstens noch an dem unverwüstlichen Eigensinn eines Regisseurs erfreuen, der weder dem Publikum noch seinen Geldgebern etwas beweisen muss. Trotzdem ist Crisis in Six Scenes zuallererst ein zweieinhalbstündiger, überlanger Woody-Allen-Film.

»Crisis in Six Scenes«. Regie: Woody Allen. Mit Miley Cyrus, Elaine May. Sechs Folgen, auf Amazon Video

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025