Netflix

Zur richtigen Zeit ein falscher Film

Ein klassisches Romeo-und-Julia-Szenario Foto: © 2023 Netflix, Inc.

Irgendwann im Laufe des Abendessens kommt der Vorschlag auf, ob man nicht gemeinsam eine Bootstour machen möchte. »Schwarze haben kein gutes Verhältnis zu Booten«, wendet Akbar (Eddie Murphy), das Oberhaupt der Familie Mohammad, ein. »So wie die Juden mit Zügen«, versucht Shelley Cohen (Julia Louis-Dreyfus) auf makaber-witzige Weise die Situation zu entschärfen. Das jedoch kommt gar nicht gut an.

»Versuchst du gerade, den Sklavenhandel mit dem Holocaust zu vergleichen?«, zeigt sich Akbar empört. Das Gespräch ist nun nicht mehr zu retten. Dabei war dieser Abend gerade der Versuch, die Spannungen zwischen den Eltern von Ezra (Jonah Hill) und Amira (Lauren London) zu lösen. Die stehen nämlich als Einzige der Hochzeit zwischen dem Juden und der schwarzen Muslimin noch im Weg.

kopfschütteln Eigentlich stimmt bei den beiden alles: Sie sind unsterblich ineinander verliebt, teilen viele Interessen und haben keinerlei Schwierigkeiten, sich Kinder ethnisch gemischter Eltern vorzustellen. Immerhin: »Jesus war halb schwarz, halb jüdisch«, wie es Ezra ausdrückt. Mutter Cohen hätte es aber doch ein bisschen besser gefunden, ihr Sohn hätte eine Jüdin zur Frau erkoren, und für Vater Mohammed steht fest: Einen »Weißen« heiratet seine Tochter sicher nicht. Ein klassisches Romeo-und-Julia-Szenario also – mehr muss man zur Grundstruktur von You People eigentlich nicht sagen. Zu einigen Details der Handlung, die einen nur kopfschüttelnd zurücklassen können, jedoch umso mehr.

Ein klassisches Romeo-und-Julia-Szenario – mehr muss man zur Grundstruktur von »You People« eigentlich nicht sagen.

Während sich nämlich Ezras Eltern ihrer schwarzen Schwiegertochter in spe häufig taktlos gegenüber verhalten und sie exotisieren – schlimm genug –, ist die Figur von Akbar ein waschechter Antisemit. Nicht nur, »dass sie mich zu einer Impfung zwingen, jetzt haben sie es auch noch auf meine Töchter abgesehen«, empört er sich, nachdem Ezra ihm seine Heiratsabsicht mitteilt.

Es ist nicht die einzige antisemitische Verschwörungstheorie, die Akbar äußern wird. Später im Film gibt er sich zudem als glühender Anhänger von Louis Farrakhan, dem Anführer der »Nation of Islam«, zu erkennen. Dieser ist ein notorischer Hasser von Juden. Sie stecken für ihn hinter allem Übel der Welt.

happy end Nun ist eine solche Figur wie Akbar in einer Liebeskomödie nicht per se problematisch; der Weg, den sie zurücklegen müsste, damit ein Happy End möglich sein kann, wäre einfach nur besonders lang. Das Skurrile: In You People geschieht eine Versöhnung zwischen den Cohens und Mohammads aber, ohne dass sich Akbar mit seinen judenfeindlichen Ansichten auseinandersetzt.

Es gehe schlicht darum, sich so zu akzeptieren, wie man ist, lautet offenbar die zweifelhafte Message des Films. Oder anders ausgedrückt: Als Jude müsse man einfach den Antisemiten lieben lernen, dann komme man schon miteinander aus. Nicht nur in Zeiten, in denen in den Vereinigten Staaten Gewalt und Hass gegen Juden stark zunehmen, wäre das ein fatales Signal.

Auch die Darstellung von Rassismus gegen Schwarze greift in dem Film auf seltsame Weise zu kurz.

Doch auch die Darstellung von Rassismus gegen Schwarze greift in dem Film auf seltsame Weise zu kurz. Von gelegentlicher kultureller Unsensibilität ihnen gegenüber abgesehen, scheinen die Mohammads keine nennenswerte Diskriminierung zu erleben. Wie sehr die afroamerikanische Gemeinschaft unter Gewalt und Armut leidet, wird nicht gezeigt. Rassismus und Antisemitismus: Beides scheint ausschließlich in den Köpfen der Protagonisten zu existieren.

Was sich Regisseur Kenya Barris und sein Co-Drehbuchautor Jonah Hill mit ihrem Film gedacht haben, bleibt rätselhaft. Sicher haben es beide nur gut gemeint; und tatsächlich wäre es aktuell ein nobles Anliegen, einen klugen und humorvollen Film über das angespannte Verhältnis zwischen jüdischer und afroamerikanischer Community zu machen. Doch auch, wenn You People zur richtigen Zeit kommt – es ist der falsche Film.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert