Wuligers Woche

Wie werde ich Verschwörungs-Jude?

Wer sich in diesem abgeschlossenen Paralleluniversum bewegt, nimmt andere Fakten nicht mehr wahr Foto: Getty Images / istock

Fühlen Sie sich zu wenig beachtet? Wird Ihre Bedeutung nicht angemessen gewürdigt? Und sind Sie zufällig auch noch jüdisch? Dann bietet sich Ihnen jetzt die einmalige Gelegenheit, aus dem Schatten der Namenlosigkeit ins strahlende Licht der öffentlichen Prominenz zu treten. Denn wir leben in Deutschland, wo jede obskure Gruppierung erst dann komplett ist, wenn sie auch auf Juden in den eigenen Reihen verweisen kann.

BANNERTRÄGER Die Völkischen haben ihre »Juden in der AfD«, die »Israelkritiker« ihre »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost«. Selbst die Beschneidungsgegner können auf vorhautlose Kronzeugen verweisen. Nur der aktuellen »Corona-ist-eine-Verschwörung«-Bewegung fehlen noch Bannerträger aus den Stämmen Israels.

Gut, es gibt den angeblichen Whistleblower aus dem Bundesinnenministerium, der dieser Tage mit einem selbst lancierten Papier von sich reden machte, in dem er die Maßnahmen seiner Behörde geißelte. Der Mann heißt Stephan Kohn. Doch wenn bei ihm mehr als der Familienname jüdisch wäre, hätte er das sicherlich schon rausposaunt. Die Marktlücke ist also noch offen. Nutzen Sie sie!

Als Erstes brauchen Sie ein Manifest. Beginnen Sie am besten mit den Worten: »Gerade wir als Juden …« – eine Formulierung, die sich schon vielfach in anderen Zusammenhängen (siehe oben) bewährt hat. Den Satz vervollständigen Sie dann aktuell: »Gerade wir als Juden wissen, was es heißt, von einer Diktatur ausgegrenzt und unterdrückt zu werden.« Die Herzen der Impfgegner, die mit nachgemachten Judensternen auf die Straße gehen, werden Ihnen zufliegen.

PODIUM Ein Platz als Redner auf dem Podium ist Ihnen sicher, wenn die Bewegung wieder vor dem Berliner Reichstag oder auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart demonstriert.

Und nicht nur dort werden Sie Gehör finden. Getreu der journalistischen Devise »Hund beißt Mann ist keine Nachricht, Mann beißt Hund dagegen wohl« werden selbst die Mainstream-Medien Ihnen Aufmerksamkeit schenken. Achten Sie bei Interviews und Statements immer darauf zu betonen, dass Sie keinesfalls nur eine Randgruppe vertreten. »Der Zentralrat spricht nicht für alle Juden« ist ein Satz, der stets gut ankommt. Beim Deutschlandfunk und bei der »Süddeutschen Zeitung« sollten Sie noch einen »israelkritischen« Schlenker einbauen: »Ausgangssperren und Freiheitsbeschränkungen – die Israelis erleben unter Netanjahu jetzt, was die Palästinenser schon seit Jahrzehnten erdulden müssen.« Man wird Sie lieben!

Fast hätten wir’s vergessen: Sie brauchen natürlich auch einen zugkräftigen Namen. »Juden für Freiheit« zum Beispiel. Dazu muss aber jetzt noch irgendwas Hebräisches, schon wegen der Authentizität.

Mal überlegen. Ja, natürlich: »Dayenu«! Das ist nicht nur ein traditionelles Pessachlied, das jeder Jude sofort erkennen wird. »Dayenu« kann deutsch übersetzt werden als »Uns reicht es!« »Dayenu – Juden für Freiheit«. Fertig ist die Laube. Wir sehen uns auf der nächsten Hygiene-Demo. Attila Hildmann freut sich schon auf Sie.

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Ausstellung

Sprayende Bildhauerin mit Geometrie

Das Museum Wiesbaden zeigt Werke Louise Nevelsons und eines Künstlerpaares

von Katharina Cichosch  20.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025