Porträt

Wer ist Louise Glück?

Louise Glück (2016) Foto: dpa

Porträt

Wer ist Louise Glück?

In ihren Gedichten schreibt die Literaturnobelpreisträgerin über die Heilkraft von Literatur und Natur

von Mario Scalla  09.10.2020 09:33 Uhr

Die Amerikanerin Louise Glück gilt als eine sehr gebildete Autorin. Ihre Kenntnisse der griechischen Mythologien sind ausgezeichnet, wie sie vielfach unter Beweis gestellt hat.

Als am 11. September 2001 das World Trade Center zusammenbrach, reagierte die Lyrikerin mit dem Gedichtband Oktober, der voller Bezüge zur Antike ist. Der Titel sollte auf die Zeit nach dem September hinweisen, wenn der Staub sich gelegt hat und das Gedenken an die Opfer beginnt. Am Donnerstag wurde der 77-jährigen US-Amerikanerin in Stockholm der diesjährige Nobelpreis für Literatur zuerkannt – für viele hierzulande überraschend.

mythologie In dem Band Oktober beschwor Glück die antike Mythologie mit ihren Ritualen von Trauer und Leid herauf, in der Hoffnung, durch diesen historischen Rückgriff das nationale Trauma fühlbar und damit weniger kriegerisch und destruktiv zu machen.

Der Kritiker Mark Strand schrieb damals: »In der Jahreszeit des Herbstes, der dunklen Zeit, geschrieben, ist Louise Glücks Stimme stärker, direkter, noch emotionaler aufgeladen als je zuvor. Dieses Poem ist ein Meisterwerk, gerade weil es voller Schönheit steckt, aber diese nie mit Erlösung verwechselt.«

Die fast therapeutische Funktion von Poesie begleitet den Lebensweg der 1943 in New York geborenen Louise Glück.

Diese fast therapeutische Funktion von Poesie begleitet den Lebensweg der 1943 in New York geborenen Louise Glück. Bereits als Jugendliche hatte sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Sie litt an starker Anorexie und begab sich in psychologische Behandlung, jedoch ohne großen Erfolg.

studium Sie zweifelte sogar daran, ob ihr unter diesen Bedingungen ein Studium möglich sein würde. Die gesundheitliche Krise wurde existenziell und sie bekannte: »Ich verstand auf einmal, dass ich dabei war zu sterben. Aber ich war mir sicher, auf intensive körperliche Art, dass ich nicht sterben wollte.«

Noch Jahre später dachte sie über diesen Scheideweg ihres Lebens nach: »Meine ganze emotionale Grundausstattung, die extreme Starrheit und Festigkeit, mit der ich mein alltägliches Verhalten regelte, auch meine seltsame, verrückte Abhängigkeit von Ritualen, machten alle anderen Formen der Erziehung nahezu unmöglich.«

Sie brach ihr Studium ohne Abschluss ab und arbeitete Ende der 60er-Jahre als Sekretärin, um Geld zu verdienen. Aber die Literatur hatte sie in den Bann gezogen, vor allem die Verbindung von griechischer Kultur und Lyrik – denn in beidem fand sie wieder, was sie unbedingt brauchte: eine strenge Form, Rituale, eine therapeutische Arbeit an sich selbst. Wer gedacht hatte, die alte griechische Kultur könne den Heutigen nicht mehr viel sagen, wurde von Louise Glück eines anderen belehrt.

religion Der Triumph des Achilles etwa hieß ein Gedichtband von 1985. Dort schaffte sie es tatsächlich, Fragen des Alterns, von Religion und Mythologie, Freundschaft und Verlust, anhand der alten griechischen Geschichten neu und poetisch zu fassen, in einer Sprache, die der amerikanische Poet Craig Teicher einmal so beschrieb: »Bei Louise Glück sind die Wörter immer spärlich. Sie sind hart dem Leben abgerungen und dürfen auf keinen Fall wieder verloren gehen.«

Bis heute hat Louise Glück 14 Gedichtbände veröffentlicht. Sie hat unzählige Ehrungen bekommen, für einzelne Bücher, für ihr Werk, und teilt doch das Schicksal vieler Kollegen und Kolleginnen, die als Lyriker wenig Beachtung finden.

Vielleicht wird nicht nur die überraschende Zuerkennung des Nobelpreises für Literatur die Wertschätzung einer großen Lyrikerin verbessern, auch ihre Themen sind von verblüffender Aktualität.

pulitzerpreis Zwei ihrer Bücher wurden ins Deutsche übersetzt, Averno (engl. 2006) und Wilde Iris (engl. 1992), der in der deutschen Kritik als »einer der vielstimmigsten und am straffsten komponierten amerikanischen Gedichtbände des Jahrzehnts« gelobt wurde, für den sie völlig verdient den Pulitzerpreis bekommen habe.

Vielleicht wird nicht nur die überraschende Zuerkennung des Nobelpreises für Literatur die Wertschätzung einer großen Lyrikerin verbessern, auch ihre Themen sind von verblüffender Aktualität. In Wilde Iris führt sie uns in einen zauberhaften Garten, in dem die Blumen Stimmen haben und mit Intelligenz und großem Gefühl zu allen sprechen, die diesen Garten betreten.

»Nature Writing« würde man das heute nennen, doch über die Heilkraft von Literatur und Natur hat Louise Glück bereits Gedichte geschrieben, als dieses heute sehr erfolgreiche Genre noch kaum bekannt war. »Bei ihr bekommen Blumen eine Sprache des Trauerns«, schrieb der Kritiker Morris Daniel.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Louise Glück den Nobelpreis in einem Jahr bekommt, in dem eine schwere Pandemie herrscht, und ihr Land, die Vereinigten Staaten, der therapeutischen Funktion von Literatur dringend bedarf.

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

von Christiane Oelrich  12.12.2025

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025