Kino

Unter erschwerten Bedingungen

»Cabaret Total« von Roy Assaf ist ein Drama über einen Entertainer, der von seinem Reservedienst in Kriegszeiten heimkehrt. Foto: Vered Adir

Wenn das israelische Filmfestival »Seret« in diesen Tagen in Berlin eröffnet wird, feiert es ein Jubiläum, das keine Selbstverständlichkeit ist: Zum zehnten Mal bringt das Festival israelische Spiel- und Dokumentarfilme in deutsche Kinos, und das in einer Zeit, in der die Sichtbarkeit israelischer Kultur in Europa massiv geschrumpft ist. »Es wird immer schwieriger, in Deutschland israelische Filme zu zeigen«, erklärt Festival­direktorin Odelia Haroush.

Tatsächlich mussten sie und ihr Team lange um potenzielle Spielstätten kämpfen. In früheren Jahren liefen die Filme in mehreren Berliner Kinos, inzwischen ist das Festival auf die »Hackesche Höfe Kinos« beschränkt – eine Notlösung, die dennoch ermöglicht, ein vollständiges Programm zu zeigen.

Angst vor BDS-Aktivisten und Demonstrationen

»Manche Häuser sagen, sie seien ausgebucht, andere geben ehrlich zu, dass sie Angst vor BDS-Aktivisten und Demonstrationen haben«, weiß Haroush zu berichten. Auch die Finanzierung sei schwieriger geworden. Zuschüsse von Städten, Kulturämtern oder Stiftungen seien in diesem Jahr ausgeblieben. »Früher habe ich Unterstützung aus verschiedenen öffentlichen Programmen bekommen, heute gar nichts mehr.«

Dabei ist die neue Ausgabe des Seret-Filmfestivals inhaltlich breit aufgestellt. Das Programm, sagt Haroush, kreist in diesem Jahr auffällig häufig um familiäre Beziehungen – um Nähe und Entfremdung, Generationenkonflikte und gesellschaftliche Spannungen im Privaten. »Wir haben viele Filme über Familien und die Beziehungen innerhalb von Familien«, sagt sie. »Natürlich stecken darin politische Themen, aber sie sind nicht im Zentrum.«

In München mussten die geplanten Vorführungen abgesagt werden.

Als Eröffnungsfilm zeigt Seret Cabaret Total, ein vielschichtiges Drama über einen Entertainer, der von seinem Reservedienst in Kriegszeiten heimkehrt. Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Roy Assaf wird den Film im Rahmen des Festivals dem Berliner Publikum vorstellen. Odelia Haroush liegt diese kritische und durchaus kontroverse Produktion besonders am Herzen, »ein phänomenaler Film«, wie sie betont. Im Programm werden unter anderem auch Episoden der deutsch-israelischen Serienproduktion The German mit Oliver Ma­succi in der Hauptrolle zu sehen sein.

Politische Realität nach dem 7. Oktober 2023

Natürlich findet auch die politische Realität nach dem 7. Oktober 2023 im Programm ihren Niederschlag. Zwei Dokumentarfilme, The Children of October 7 und Tattooed 4 Life, thematisieren die Folgen der Hamas-Massaker und des Krieges. Viele der übrigen Produktionen entstanden jedoch noch vor diesem Datum. »Diese Filme erzählen vom Leben in Israel, nicht vom Krieg«, so Haroush. »Aber natürlich sehen die Zuschauer sie heute in einem anderen Licht.«

Dass israelische Filme international zunehmend boykottiert werden, macht der Festivalleiterin, die Seret gemeinsam mit der Co-Gründerin Patty Hochmann leitet, große Sorgen. Sie verweist auf das Dokumentarfilmfestival IDFA in Amsterdam, das in diesem Jahr keinen einzigen israelischen Beitrag zeigte.

»Sie sagen es ganz offen: Einen israelischen Film zu zeigen, sei gleichbedeutend mit Unterstützung Israels, und das wollen sie nicht. Dasselbe beim London Film Festival – sonst laufen dort immer ein oder zwei israelische Filme, diesmal kein einziger. Wir spüren das überall«, erklärt Haroush. Im Hinblick auf die letztjährige Seret-Ausgabe in Deutschland sieht Haroush einen traurigen Trend. »Früher kamen viele lokale Zuschauer, nicht nur Juden oder Israelis. Heute besteht unser Publikum fast ausschließlich aus der jüdischen und israelischen Community.«

Die Gründe sind vielfältiger Natur: zum einen Sicherheitsbedenken, zum anderen politische Distanzierung oder schwindende institutionelle Unterstützung. In München musste Seret die geplanten Vorführungen ganz absagen. »Ich konnte keine Partner finden, keine Sponsoren, kein Kino«, so Haroush weiter. »Ich würde aber sehr gern wieder zurückkehren, ebenso nach Hamburg und Köln – vielleicht im nächsten Jahr.«

Das weltweit größte Festival seiner Art

Trotz der widrigen Umstände hat Seret seine Bedeutung als Plattform für israelisches Kino behauptet. Das Festival, das 2010 in London gegründet wurde und mittlerweile auch in Amsterdam, Madrid oder Santiago de Chile stattfindet, gilt heute als das weltweit größte seiner Art. »Wir sind fast die Einzigen, die israelische Filme überhaupt noch zeigen«, sagt Odelia Haroush. »Das macht unsere Arbeit so wichtig.«

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Die staatliche Unterstützung aus Israel sei minimal, viele Botschaften hätten ihre Kulturetats zusammengestrichen. »Wir sind kein Regierungsfestival«, betont die Seret-Direktorin. »Wir leben von Spenden, Kooperationen und privatem Engagement. In Deutschland hilft uns die israelische Botschaft etwas, aber auch dort sind die Budgets knapp.«

Wie lange dieser kulturpolitische Ausnahmezustand noch anhalten wird, vermag Haroush nicht zu sagen. Sie gibt sich optimistisch, aber im Hinblick auf die politische Gesamtsituation eher illusionslos: »Ich glaube, es wird Jahre dauern, bis sich die Situation wieder normalisiert.« Auf die Frage, was israelische Filmemacher im Augenblick am meisten benötigten, sagt sie: »Sichtbarkeit. Sichtbarkeit, Sichtbarkeit. Dafür leben sie, dafür machen sie Filme.«

Das »Seret«-Filmfestival findet vom 19. bis 23. November in Berlin statt.

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