»Hamishim – Fünfzig«

Und täglich grüßt die Menopause

Manchmal hilft nur die Zigarette: Ilanit Ben-Yaakov als Alona in »Hamishim« Foto: Vered Adir/Endemol Shine Israel

Mit dem Sex scheint es wie mit den Zigaretten. Zu beidem pflegt Alona Nahmias wohl ein etwas neurotisches Verhältnis. Und dann ist da noch das Alter. So kurz vor ihrem 50. Geburtstag will die verwitwete Drehbuchschreiberin und alleinerziehende Mutter nach längerer Enthaltsamkeit endlich mal wieder Sex.

TINDER Also lässt sie sich gleich in der ersten Folge der israelischen TV-Serie Hamishim – Fünfzig von einem befreundeten Produzenten die Dating-App Tinder erklären. »Man wischt darüber?«, fragt sie. »Ja, wer dir gefällt, nach rechts … Und nach links …«, lautet die Antwort, woraufhin sie einwirft: »Wie beim Holocaust.« Trotz anfänglichem Fremdeln mit der App wagt Alona das erste amouröse Abenteuer, und zwar mit einem deutlich jüngeren Tierarzt auf dem noch blutverschmierten OP-Tisch in dessen Praxis.

Doch das Date, das auf diese Weise zustande kommt, geht sprichwörtlich in die Hose. Denn plötzlich schwächelt ihre Blase – ein typisches Phänomen der Wechseljahre, wie Alona von ihrer Gynäkologin erfahren wird. Die Nachricht, dass sie sich nun mitten in der Menopause befindet, will ihr überhaupt nicht gefallen, weshalb die Beschäftigung mit diesem Thema mitunter groteske Züge annimmt, weil sich Realitätsverweigerung und obsessive Fokussierung stets aufs Neue abwechseln.

VERFALL Aber noch ganz andere Baustellen dominieren ihren Alltag. Da ist der demente Vater, dessen geistiger Verfall bei ihr Panik vor dem eigenen Älterwerden auslöst. In ihrer Fantasie sieht sie sich bereits von der Familie abgeschoben in ein Altersheim, wo man hilflos infantilen Unterhaltungsangeboten und einer raffgierigen Verwaltung ausgeliefert ist. Und ihre drei Kinder, die smartphonesüchtige Shira, der an ADHS leidende Sohn Yali und die fast schon erwachsene Carmel, die ständig darüber lamentiert, dass alle Jungs sie links liegen lassen, bereiten Alona zusätzliches Kopfzerbrechen.

Ob es eher Komödie oder eher Drama ist, bleibt dem Zuschauer überlassen.


Auch ihr jüngstes Drehbuchprojekt stellt sie vor ein Dilemma. Es sei zwar toll, bekommt sie immer wieder zu hören. Aber auf keinen Fall wollen ihre potenziellen Abnehmer eine 50-jährige Protagonistin darin sehen – eine so alte Frau komme beim TV-Publikum schlecht an. Also klein beigeben und das Skript ändern oder nicht?

Last but not least hat Alona noch Stress mit dem Finanzamt. In einem geradezu kafkaesken Dialog muss sie dem Sachbearbeiter erklären, warum Büstenhalter in ihrer Steuererklärung als Betriebsausgaben aufgelistet sind. Bei einer Prostituierten wäre das nachvollziehbar, aber doch nicht bei einer Drehbuchautorin, behauptet der Beamte. Sie kontert, dass auch ihr Job eine Art Prostitution sei, weshalb sie die Dinger dringend benötigt. »Ich bin 50 und brauche einen Stütz-BH.« Sonst würde niemand von ihr bei Präsentationen ein Drehbuch kaufen. Auch hier thematisiert die Serie das Älterwerden in einer Form, die stets einem Drahtseilakt zwischen Komödie und Drama gleicht. Was letztendlich dabei überwiegt, diese Entscheidung bleibt dem Zuschauer überlassen.

AUTOBIOGRAFISCHES Die Schriftstellerin Yael Hedaya, von der die Idee für die achtteilige Serie stammt, lotet mit ihrer Heldin gleich mehrere Ebenen des israelischen Alltags aus. Zum einen wird der israelische Umgang mit der Vergangenheit problematisiert. Exemplarisch zeigt sich das in einer Szene, in der Alona feststellt, dass eine Freundin ihrer jüngsten Tochter nicht einmal weiß, wer Adolf Hitler war.

Auch die Erklärung dazu hat es in sich: Die Eltern wollen einfach nicht, dass ihr zarter Sprössling durch die Konfrontation mit der Realität traumatisiert wird. Andererseits steht eine Klassenreise nach Auschwitz auf dem Programm. Gegen sie hat Alona massive Vorbehalte, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Deshalb plädiert sie auf dem Informationsabend in der Schule dafür, sich lieber um einsame Schoa-Überlebende in der Nachbarschaft zu kümmern. Zugleich aber blockiert Alona die Dame, die genau solche älteren Herrschaften vermitteln möchte, auf dem Handy, weil sie ihr gewaltig auf die Nerven geht. All das klingt erst einmal irritierend, jedoch nie despektierlich oder kaltschnäuzig.

Zum anderen geht es um die Frage, wie sich eine alternde Frau in einer ihr deshalb unfreundlich gesinnten Welt selbst behauptet. Auch hier wird keine Peinlichkeit ausgelassen, was aber nie zum Klamauk mutiert, sondern sich zu einem äußerst feinfühlig gezeichneten Porträt verdichtet. Kein Wunder, dass die israelische Serie 2020 als eine von vier nicht­amerikanischen Serien für den Emmy nominiert wurde.

»Hamishim – Fünfzig ist inspiriert von bestimmten Aspekten meines eigenen Lebens als Schriftstellerin und alleinerziehende Mutter von drei Kindern«, so Hedaya über ihr TV-Baby, das offensichtlich stark autobiografische Züge trägt. »Im Gegensatz zu den Kindern war das Alleinsein nicht meine Entscheidung. Alle bewundern mich für meinen Mut. Aber die Wahrheit dürfte sein, dass ich wahrscheinlich nur neue Methoden der Selbstzerstörung erkundet habe. Als ich dann 50 Jahre alt wurde, beschloss ich, der Natur ihren Lauf zu lassen, damit ich mich zurücklehnen und es genießen kann, eine alternde, dysfunktionale Mutter zu sein.«

Alle acht Folgen von »Hamishim – Fünfzig« sind bis zum 1. Juli 2022 in der Arte-Mediathek zu sehen (OmU).

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