Redezeit

»Traurigkeit fasziniert mich«

Yasmin Levy Foto: Ali Taskiran

Frau Levy, gibt es in Jerusalem eine Tango-Szene?
Nein – zum Tango bin ich über Yaron Gottfried vom Israel Kibbuz Orchestra gekommen. Er hat mich aufgefordert, etwas Neues zu probieren und zu experimentieren. So habe ich mich hingesetzt und Musik gehört, um etwas zu entdecken, was ich bisher noch nicht gesungen, gefühlt und interpretiert hatte.

Und haben so den Tango entdeckt und die Kompositionen von Carlos Gardel und anderen Tango-Klassikern wie Roberto »Poyaco« Geleneche?
Genau, und die haben mich begeistert. Es ist diese tiefe Traurigkeit, die mich fasziniert.

Welche Parallelen sehen Sie zwischen den Ladino-Liedern, die Sie kennen, Flamenco und Tango?
Die Musik kommt von der Straße, und im Mittelpunkt steht das, was einen bewegt: die unglückliche Liebe, die Sorgen und Probleme des Lebens, das Überleben. Beim Ladino schwingt jedoch immer etwas Humor mit, und den habe ich im Tango nicht gefunden. Es ist die pure Traurigkeit, und das fesselt mich. Traurigkeit ist für mich ein kreatives Geschenk.

Welche Rolle hat Ihr Vater dabei gespielt – hat er Ihnen die Melancholie und Traurigkeit des Ladino nahegebracht?
Mein Vater, Yitzhak Levy, ist der Bewahrer des sefardischen Soul. Er hat für das staatliche Radio in Israel gearbeitet und nebenbei die alten Ladino-Songs zusammengetragen. Sie gesucht, festgehalten und archiviert. So ist das klingende Vermächtnis unserer Kultur entstanden. Das habe ich erst begriffen, als ich älter wurde, denn mein Vater ist früh verstorben und hatte keine Zeit, mir den Weg zu weisen. Also bin ich in sein Archiv eingetaucht, habe die Songs gehört, gefühlt und schließlich interpretiert. Das war ein Prozess über viele Jahre, und für mich ist es mein Beitrag zum Erhalt des Ladino.

Sie werden heute respektvoll als »Botschafterin des Ladino« bezeichnet. Das war nicht immer so, oder?
Ich bin stolz über diesen Titel, denn er bedeutet, dass man meine Arbeit anerkennt. Ich spreche zwar kein reines Ladino, denn kaum jemand aus meiner Generation spricht mehr Ladino. Ladino ist die Sprache der Alten, der Sefardim, die 60, 70 oder 80 Jahre alt sind, und mit ihnen droht diese Sprache auch zu sterben. In ein oder zwei Generationen wird wahrscheinlich niemand mehr Ladino sprechen, aber der Soul der Sefardim wird überleben. Dafür hat mein Vater gesorgt, und ich führe dieses Erbe fort, wenn auch auf der Bühne.

Sie wurden von der älteren sefardischen Generation in Jerusalem kritisiert, weil Sie die alten Stücke modern und nicht traditionell interpretieren, richtig?
Vor acht, neun Jahren gab es diese Kritik, aber das ist lange her. Als Künstlerin muss ich die Stücke so interpretieren, wie ich es für richtig halte und wie ich sie fühle. Das ist im Ausland anfangs besser angekommen als in Jerusalem, aber das hat sich geändert. Ich habe mir den Respekt erarbeitet.

Sie singen auf Spanisch, in Ladino, warum nicht auf Hebräisch?
Hebräisch ist die Sprache meines Alltags. Die Sprache, in der ich einkaufe, nicht die Sprache, in der ich fühle, in der ich singe. Spanisch und Ladino haben für mich diese magische Aura, und bisher habe ich die im Hebräischen nicht entdeckt. Aber das beginnt sich zu ändern, seitdem ich Mutter bin. Vielleicht werde ich irgendwann versuchen, etwas in Hebräisch zu singen, aber das wird noch etwas dauern.

Sie stellen Ihr neues Album »Tango« am 10. September bei den Berliner Jüdischen Kulturtagen in der Synagoge Rykestraße vor. Warum gerade dort?
Oh, das ist ein Zufall, denn ich bin eingeladen worden, bei den Jüdischen Kulturtagen zu singen. Dass dabei auch ein paar Tango-Stücke zum Programm gehören werden, ist nur logisch. Mein neues Album wird wenige Tage später in Deutschland veröffentlicht, und da will ich es natürlich auch vorstellen.

Mit der Sängerin sprach Knut Henkel.

Nachruf

So long, Tom Lehrer

Der Satiriker und Mathematiker Tom Lehrer ist im Alter von 97 Jahren gestorben

 28.07.2025

Sommerferien

Tut endlich nichts!

Therapeuten geben Tipps, wie Urlaub mit Kindern auch für Eltern entspannend sein kann

von Nicole Dreyfus  27.07.2025

Erinnerungskultur

Wolfram Weimer will neues Gedenkstättenkonzept vorlegen

In der vergangenen Legislaturperiode war ein Gedenkstättenkonzept gescheitert. Der Kulturstaatsminister nimmt nun einen neuen Anlauf

 25.07.2025

Literatur

»What’s with Baum?«: Woody Allens erster Roman

Das Erstlingswerk soll wenige Monate vor Allens 90. Geburtstag erscheinen

von Imanuel Marcus  24.07.2025

Zahl der Woche

932.097

Fun Facts und Wissenswertes

 24.07.2025

Gaming

Zocken gegen Juden

Wie Rechtsextremisten und Islamisten Onlinespiele nutzen, um Anhänger zu rekrutieren

von Ralf Fischer  24.07.2025

Kolumne

Der »gute jüdische Junge«: Zeit, über ihn hinwegzukommen!

Abschied von einer Filmlegende, die mir im echten Leben noch nie begegnet ist

von Laura Cazés  24.07.2025

Zürich

»Unschätzbarer Wert«: Jüdische Schriftensammlung wird restauriert

Teilweise stammen die Bücher aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Sie sind Relikte einer von den Nazis in weiten Teilen zerstörten Breslauer Bibliothek. Sie sollen auch digitalisiert werden

von Leticia Witte  24.07.2025

Meinung

Rothenburgs jüdische Geschichte ist in Gefahr

In dem bayerischen Ort wurde die mittelalterliche Synagoge freigelegt – und soll nun wieder zugeschüttet werden. Ein skandalöser Umgang mit dem historisch bedeutenden Ort

von Johannes Heil  24.07.2025