Sie tragen Banner und Plakate: »Reparationen kein Ersatz für Anerkennung« und »Für diplomatische Beziehungen zu Israel« steht darauf. Zu sehen ist die Deutsch-Israelische Studiengruppe München am 7. Juni 1964 während einer Demonstration. Weniger als ein Jahr später war es so weit: Am 12. Mai 1965 vereinbarten Bundeskanzler Ludwig Erhard und Israels Ministerpräsident Levi Eschkol die Aufnahme eben dieses Austauschs.
Das war vor 60 Jahren - und wurde erst kürzlich offiziell mit gegenseitigen Besuchen der deutschen und israelischen Staatsspitze gefeiert. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen - nur 20 Jahre nach dem Ende der Schoah - hatte Vorläufer in der Zivilgesellschaft. Das zeigt das neue Buch »Die Deutsch-Israelischen Studiengruppen und die frühen studentischen Kontakte mit Israel 1948-1972« von Jonas Hahn. Es ist jetzt im Wallstein Verlag erschienen. Das Cover zeigt die Szene bei der damaligen Demo.
Studierende als Mittler
Diesen Studiengruppen sei eine besondere Bedeutung in der frühen Phase der deutsch-israelischen Beziehungen zugekommen, schreibt Hahn. Denn in Zeiten nur weniger Kontakte zwischen beiden Staaten seien sie Mittler gewesen. Die Gruppen hätten schon ab Ende der 50er Jahre die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verlangt. Die Studierenden und auch andere gesellschaftliche Kräfte hätten an der Entwicklung bis 1965 einen »nicht unwesentlichen Anteil« gehabt.
»Das zentrale Anliegen der Deutsch-Israelischen Studiengruppen war es, durch die Beschäftigung und die Begegnung mit Israel einen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland zu leisten«, heißt es. Zugleich sei es darum gegangen, Klarheit über das Verhältnis Deutschlands zum israelischen Staat zu erlangen.
»Kritische Solidarität«
Hahn zeichnet das »Image« Israels bei Studierenden nach. Zu Beginn galt der damals noch junge Staat als so ganz anders als die Bundesrepublik. Gerade junge Leute aus dem linken Spektrum seien interessiert gewesen zum Beispiel an gemeinschaftlichen Strukturen in den Kibbuzim. Ein Wandel habe mit dem Sechstagekrieg 1967 eingesetzt: Israel sei stärker als »Akteur im israelisch-arabischen Konflikt« wahrgenommen worden. Im Sozialistischen Deutschen Studentenbund hätten sich sogar antiisraelische Positionen durchgesetzt.
In den Deutsch-Israelischen Studiengruppen habe sich nach 1967 eine »kritische Solidarität« durchgesetzt: »Man verstand sich als israelsolidarischer Studierendenverband, der sich kritisch gegenüber der Besetzung von Gebieten positionierte.«
Und heute?
1966 wurde die Deutsch-Israelische Gesellschaft ins Leben gerufen - die es heute noch gibt und an deren Gründung laut Hahn auch Menschen aus den Studiengruppen und aus deren Umfeld beteiligt waren. In die Gegenwart schlägt Hahn noch weitere Bögen: 2023 zählte demnach die deutsche Hochschulrektorenkonferenz 271 Kooperationen zwischen deutschen und israelischen Hochschulen.
Und: An den Universitäten Be’er Sheva, Haifa, Jerusalem und Tel Aviv gebe es Zentren für Deutschland-Studien, an der Universität München habe sich 2015 ein erstes Zentrum für Israel-Studien gegründet. Der Deutsche Akademische Austauschdienst, der mit 100 Jahren ebenfalls in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiert, habe 2023 Studien- und Forschungsaufenthalte von 534 Menschen aus Israel in Deutschland und von 704 Personen von Deutschland nach Israel gefördert.
Eher unbekannte Aspekte
Hahns Fazit: »Viele Anliegen, für die sich die Deutsch-Israelischen Studiengruppen bereits während der 1950er Jahre einsetzten, sind heute ein fester und gelebter Teil der Beziehungen beider Länder.«
Das Buch ist Hahns Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München und wurde vom Historiker Michael Brenner betreut. Wer also im aktuellen Jubiläumsjahr, in dem zusätzlich auch 80 Jahre Ende der NS-Schreckensherrschaft begangen wird, etwas über die 60 Jahre währenden diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel hinaus lernen möchte, wird in dem Buch fündig und entdeckt diverse eher weniger bekannte Aspekte.