Comic

Schwerelos in Jiddischland

Ein Porträt des Künstlers als junger Mann: Marc Chagall aus der Sicht von Joann Sfar Foto: avant-verlag

Zuletzt hat Joann Sfar als Regisseur des Kinofilms Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte von sich reden gemacht. Bekannt geworden ist der Franzose aber als Comic-Zeichner. 150 Alben hat er schon produziert, viele davon preisgekrönt. Etliche gelten jetzt schon als Klassiker, wie Die Katze des Rabbiners, Desmodus und Klezmer, von dem nun ein neuer, vierter Band mit dem Titel Trapezschwünge vorliegt. Neu ist auch der Comic Chagall in Russland. Beide zählen in zeichnerischer Hinsicht zum Aufregendsten, was Sfar bislang produziert hat.

schtetl Trapezschwünge wie Chagall in Russland spielen im einstigen »Jiddischland« zwischen Lemberg, Odessa und Witebsk, der weißrussischen Stadt, in der Moische Chazkelewitsch Schagalow, wie Chagall ursprünglich hieß, zur Welt kam und aufwuchs. In seinem Comic erzählt Sfar von den Jugendjahren des Malers. Dessen Heimat war bevölkert von den kuriosesten Typen: blutrünstige Kosaken, dralle Bäuerinnen, Geige spielende Soldaten und bullenstarke Schächter.

Viele Figuren aus Chagalls Bilderwelt tauchen bei Joann Sfar wieder auf, der sich bei Chagalls bildnerischem Archiv einer untergegangenen Welt freimütig bedient, dabei jedoch dessen Motivik mit einer gehörigen Portion Erotik sowie philosophischen Diskursen über die Malerei aufpeppt.

Nicht nur in Chagall in Russland, auch in Klezmer, Band 4, wird die Welt des osteuropäischen Schtetls wieder lebendig. Einige Figuren aus dem Chagall-Band tauchen dort sogar als Doubles wieder auf: Ein Geiger, dort noch Soldat, ist hier ein orthodoxer Jidl mitn Fidl. Er heißt Vincenzo und ist Mitglied einer vagabundierenden Klezmertruppe, die in einem Zirkus auftritt. Eine Trapeznummer dort dient Sfar als willkommene Gelegenheit, die Gesetze der Schwerkraft zeichnerisch aufzuheben.

Für die tollkühnen Artisten gibt es scheinbar kein Oben und kein Unten. Die Kolorierung zwischen Gelb und Rot zielt auf reine Farbekstase. An diesem Punkt treffen sich Marc Chagall und Joann Sfar. Auch der Meister aus Weißrussland ließ Menschen und Tiere scheinbar schwerelos über den Himmel fliegen. Das passt zum Titel: Auch Klezmermusik ist in seinen besten Momenten von äußeren Zwängen befreit, ein ekstatisches Fest für die Ohren.

familienerbe Der 1971 in Nizza geborene Joann Sfar kennt die Welt der osteuropäischen Juden aus den Erzählungen seines Großvaters. Der andere Teil seiner Familie stammt aus dem Maghreb. »Ich wuchs in einer jüdischen Familie auf, die halb ukrainisch, halb algerisch war. Mein Vater ist Pianist. Meine Mutter war Pop-Sängerin«, erzählt er. Auch deshalb fühlt sich Sfar, der selbst kein Instrument professionell spielt, zur Musik und vor allem zum Klezmer hingezogen.

Für seinen Animationsfilm Die Katze des Rabbiners (der seltsamerweise noch immer keinen Verleih in Deutschland gefunden hat), arbeitete er mit der Amsterdam Klezmer Band zusammen. Im Interview sagt der Zeichner, dass bei den feucht-fröhlichen Tonaufnahmen derart viel Material entstanden sei, dass man gleich zwei CDs damit bestücken könnte. Leider ist bis heute kein einziger dieser Songs erschienen. Aber wenigstens kann man sich nun mit Klezmer in gezeichneter Form trösten.

Joann Sfar: »Klezmer Bd. 4 – Trapezschwünge« und »Chagall in Russland«. Avant, Berlin 2012, 120 bzw. 128 S., je 19,95 €

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025