Glosse

Schon mit fünf ein stolzer Zionist

Israel ist 75 Jahre alt geworden. Das ist natürlich eine große Sache! Selten habe ich in Zeitungen, den Nachrichten oder den sozialen Medien so viele blau-weiße Flaggen gesehen. Überall wird das Wunder anerkannt, das die Gründung Israels vor einem Dreivierteljahrhundert bedeutet.

Über dem ganzen Bohei wurde jedoch ein weiteres bedeutendes Jubiläum im Zusammenhang mit dem jüdischen Staat ganz vergessen: Vor 25 Jahren war ich, der bescheidene Autor dieser Zeilen, das erste Mal in Israel! Damals war ich fünf Jahre alt und, je nachdem, wen man fragt, ein nervtötender Schreihals oder ein süßer Knopf. Um mich auf meinen ganz persönlichen Israel-Jahrestag einzustimmen, habe ich ein paar alte Fotos rausgekramt. Ich lade Sie herzlich ein, mit mir in meinen Erinnerungen zu schwelgen!

Zionist Auf einem Foto sieht man mich mit einer Schaufel in den Händen. Natürlich halte ich sie nicht allein, dafür war ich viel zu klein; ein netter Mann hilft mir. Im Hintergrund sieht man die judäischen Hügel, und ich bin im kompletten IDF-Dress gekleidet, mit olivgrünem T-Shirt und Mütze in Tarnfarben. »Nein, du leistet da keinen Militärdienst für Kleinkinder«, erzählt mir meine Mutter, als ich sie frage, was genau ich auf dem Bild treibe. Sie muss es wissen, schließlich war sie dabei und kann sich, anders als ich, sehr gut an mein erstes Mal in Israel erinnern. »Du pflanzt Bäume!«, ist sie sich sicher. »Cool«, denke ich mir, »schon mit fünf Jahren war ich also ein tatkräftiger Zionist.« Israel, das steht fest, wäre ohne mich ein bisschen weniger grün.

Obwohl meine Klamotten sehr nach 90er-Jahre aussehen, ist das Foto ein zeitloses Dokument.

Ein anderer Schnappschuss zeigt mich in Großaufnahme: Dicke Tränen kullern mir die Wange runter. Weine ich etwa vor Freude, weil mir klar geworden ist, wie unglaublich die Geschichte ist, die zur Gründung eines jüdischen Staates geführt hat? »Nein«, korrigiert mich meine Ima, »du wolltest unbedingt ein zweites Eis haben – hast du aber nicht bekommen.« Am liebsten hätte ich übrigens die Eissorte gehabt, bei dem sich Gummibärchen im Stiel befinden. Ich versuche, mir das vorzustellen – Gummibärchen im Stiel – und denke: Auch das ist ein veritables Wunder!

Urkunde Mein Lieblingsfoto ist an Jom Haazmaut 5758 beziehungsweise 1998 entstanden, also vor genau 25 Jahren. Ich betrachte es als eine Art Gründungsurkunde der Beziehung zwischen mir und Israel. Obwohl meine Klamotten sehr nach 90er-Jahre aussehen, ist das Foto ein zeitloses Dokument: Darauf halte ich eine kindgerechte Israelflagge in den Händen und strahle über beide Backen. Vielleicht, weil mir bewusst ist, das an diesem Tag etwas Glorreiches gefeiert wurde: Der jüdische Staat wurde 50 Jahre alt! Vielleicht aber auch, weil ich als Kind immer, wenn jemand eine Kamera auspackte, anfing zu grinsen.

Was auch immer ich damals alles schon begriffen habe und was nicht, über eines habe ich bestimmt wenig nachgedacht: dass Israel auch noch 25 Jahre später für mich wichtig sein würde, ein Stück Heimat 4000 Kilometer entfernt. Bei dem Gedanken fällt mir ein, dass ich mal wieder hinfliegen muss. Ich brauche unbedingt neue Fotos, die ich mir dann in 25 Jahren, am 100sten Jom Haazmaut, anschauen kann!

Essay

Übermenschlich allzumenschlich

Künstliche Intelligenz kann Großartiges leisten. Doch nicht zuletzt die antisemitischen Ausfälle von Elon Musks Modell »Grok« zeigen: Sie ist nicht per se besser als ihre Schöpfer. Ein alter jüdischer Mythos wirft Licht auf dieses Dilemma

von Joshua Schultheis  27.08.2025

Archäologie

Vorform der Landwirtschaft: Steinsicheln für die Getreideernte

Funde aus einer Höhle in Zentralasien stellen Annahmen zur Entstehung der Landwirtschaft infrage. Offenbar liegen deren Ursprünge nicht nur in der Region Vorderasien, die auch das heutige Israel umfasst

von Walter Willems  26.08.2025

Digital

Initiative von Heidelberger Hochschule: Neuer Podcast zum Judentum

»Jüdische Studien Heute« als Podcast: Das neue Angebot der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg will alle zwei Wochen Forschungsthemen aufgreifen und Einblicke in die jüdische Lebenswelt bieten

von Norbert Demuth  26.08.2025

Zahl der Woche

1902

Fun Facts und Wissenswertes

 26.08.2025

TV-Tipp

»Barbie« als TV-Premiere bei RTL: Komödie um die legendäre Puppe

Im ersten Realfilm der 1959 von Ruth Handler erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie

von Michael Kienzl  26.08.2025

Nominierungen

Grimme Online Award: Nahost-Konflikt und deutsche Geschichte im Fokus

In den vier Kategorien kann die Jury des Grimme Online Awards aus den 25 Nominierten bis zu acht Preisträger auswählen

 26.08.2025

Berlin

Götz Aly: Kaum Parallelen zwischen 1933 und heute

Wie konnten die Deutschen den Nazis verfallen und beispiellose Verbrechen begehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Historiker in seinem neuen Buch. Erkennt er Parallelen zu heute?

von Christoph Driessen  26.08.2025

Oberammergau

»Judenfreund«: Regisseur Stückl beklagt Anfeindungen

Christian Stückl leitet die berühmten Passionsspiele in Oberbayern. Lange wurde er dafür gewürdigt, das Werk von judenfeindlichen Passagen befreit zu haben. Nun dreht sich der Wind

 25.08.2025

Kritik

Ukraine verurteilt Auftritt Woody Allens bei Moskauer Filmwoche

US-Filmregisseur Woody Allen lässt sich per Video beim Moskauer Filmfestival zuschalten. In der von Russland angegriffenen Ukraine sieht man den Auftritt alles andere als gern - und reagiert prompt

 25.08.2025