Walter Kaufmann

»Schade, dass du Jude bist«

Schriftsteller, Seemann, Schlachthausarbeiter: Walter Kaufmann (1967 in Kleinmachnow) Foto: picture alliance / ddrbildarchiv

Walter Kaufmann

»Schade, dass du Jude bist«

Der Schriftsteller war bis zuletzt einer der Außenseiter und großen Unbekannten der deutschen Gegenwartsliteratur

von Ludger Heid  22.04.2021 09:27 Uhr

Am 15. April ist der Berliner Schriftsteller Walter Kaufmann im Alter von 97 Jahren in Berlin gestorben. Sein mehr als neun Jahrzehnte umfassendes Leben war gekennzeichnet durch die Tyrannei des 20. Jahrhunderts, ein Jahrhundert, das es nicht immer gut mit ihm meinte. Dennoch kann Kaufmann zufrieden auf das Geleistete zurückblicken.

Kaufmann, geboren am 19. Januar 1924 in Berlin, wuchs als Adoptivsohn von Sally und Johanna Kaufmann in Duisburg auf. Dr. Sally Kaufmann war ein renommierter Anwalt und Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Duisburg.

Walter Kaufmann erlebte in seiner Jugend alle möglichen Diskriminierungen, die ihren Höhepunkt im Novemberpogrom 1938 erreichten. Das Elternhaus wurde verwüstet, der Vater als »Schutzhäftling« nach Dachau deportiert. Zeit für den 15-jährigen Walter, mit einem Kindertransport nach England geschickt zu werden, um zu überleben.

DUISBURG Als Schriftsteller hat Walter Kaufmann die antijüdischen Maßnahmen immer wieder kaleidoskopartig literarisch verarbeitet. Die meisten seiner Bücher haben autobiografische Züge. Voices in the Storm ist sein Debütroman aus dem Jahr 1953, in viele Sprachen übersetzt, in dem er die Geschichte der Juden in Duisburg, seine Geschichte, erzählt.

Bei Kriegsbeginn wurde er im Mai 1940 von der britischen Polizei als »feindlicher Ausländer« interniert, mit vielen anderen deutschen Juden auf der berüchtigten »Dunera« (die mehrfach torpediert wurde!) nach Sydney deportiert. 18 Monate verbrachte er in Wüstencamps, in Holzbaracken, umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen.

Zu Beginn des Krieges wurde er von den Briten als »feindlicher Ausländer« interniert.

Er war 17 Jahre alt, als er das Internierungslager verlassen konnte – und wartete doch nur auf eine Nachricht der Eltern. Dass die Eltern 1943 in Auschwitz von den Deutschen ermordet wurden, erfuhr er erst Jahre später.

Das Exil war zwar schwer, aber als »bitter« hat er es nicht empfunden. Der junge Emigrant schlug sich in Australien mit allen möglichen Arbeiten durchs Leben. Meistens im Bereich des Hafens, auf Schleppern und Frachtern. Dann aber auch als Straßenfotograf, Schlachthausarbeiter, Obstpflücker, Docker und lange Jahre als Seemann. Die einfachen Menschen, denen er – zur See und zu Lande – begegnete, Außenseiter wie er, ihre sozialen Nöte regten ihn zum Schreiben an. Noch während seiner Armeezeit in Australien (bis 1945) erhielt er den ersten seiner zahlreichen Literaturpreise.

DDR 1956 siedelte er nach Ost-Berlin um. »Eine Alternative gab es damals für mich nicht«, sagte er einmal rückblickend. Seit 1960 war er mit Angela Brunner, einer in der DDR bekannten Schauspielerin, verheiratet. Die beiden gaben den gemeinsamen Töchtern bewusst jüdische Namen.

Als australischer Staatsbürger war Kaufmann in der DDR privilegiert. Vor allem: Er konnte reisen. Vornehmlich seine Reisereportagen hatten in der DDR hohe Auflagen, wurden in viele Sprachen übersetzt. Zum Beispiel Far Eastern Kaleidoscope (1957) und Drei Reisen ins Gelobte Land (1980). Besonders wichtig waren ihm seine sieben Reisen nach Israel, wo er in zahlreichen Begegnungen mit Palästinensern und israelischen Friedensaktivisten zusammentraf. Insgesamt vier Amerika- und zwei Irland-Bücher brachte Kaufmann heraus.

In den 60er-Jahren erlebte er hautnah die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung in den USA, nahm lange Zeit am legendären Prozess gegen Angela Davis Anfang der 70er teil und schrieb ein Buch über das Prozessgeschehen.

»Staatsnah« ist Walter Kaufmann in der DDR nie gewesen. Im Gegenteil: Die Stasi hatte ihn im Visier. In seiner Stasi-Akte stieß er auf mindestens 20 Decknamen. Er wurde von einer prominenten Schriftstellerkollegin bespitzelt – Christa Wolf alias IM »Margarete«, die Galionsfigur der DDR-Identität. Vom 1. Juli 1959 datiert ein handschriftlicher Bericht über Walter Kaufmann, den die Autorin zwar für »talentiert«, wenn auch menschlich »labil« einstufte, gleichwohl sei sein Talent aber »gefährdet« durch »mangelhafte theoretische Kenntnisse«.

P.E.N. In der renommierten Schriftstellervereinigung P.E.N., in deren Präsidium er viele Jahre lang tätig gewesen war, setzte er sich vor allem für inhaftierte Autoren (»Writers in Prison«) ein – bis in die Gegenwart. Anrührend ist auch Kaufmanns Porträt von Manass Neumark, den Duisburger Gemeinderabbiner, eine Biografie, die er mit seinen eigenen Erinnerungen verknüpfte. Über Rabbi Neumark schreibt er: »Väterlich war er zu mir, sanft: nachsichtig wäre das bessere Wort. Die Belehrungen des Rabbiners nahm ich nur so weit an, dass es für meine Bar-Mizwa reichen würde. Im Grunde hätte er mich aufgeben müssen – er tat es nicht. Meines Vaters wegen, der Vorstand der Jüdischen Gemeinde war?«

»Staatsnah« ist Walter Kaufmann nie gewesen. Im Gegenteil: Die Stasi hatte ihn im Visier.

An anderer Stelle erinnert Kaufmann sich: »Am Tag meiner Bar-Mizwa, aufgerufen, den Abschnitt aus der Tora vorzutragen, den Rabbiner Neumark mir mühevoll nahegebracht hatte, stand ich an der Stirnseite der Synagoge vor der aufgerollten Pergamentrolle und sang mit klarer Stimme Worte, die ich nie begriffen hatte, nie hatte begreifen wollen – sang sie fehlerfrei für Rabbiner Neumark, und war froh, dass mir das gelang, froh auch, dass ich den Vater nicht beschämte, der gleich hinter mir in der ersten Reihe stand (…). Ich sang, um zu bestehen, ja, auch das, aber im Grunde sang ich nur für den Rabbiner von Duisburg, den sanften, den gütigen, den bärtigen Menasse Neumark.«

Rückkehr Im Februar 2008 kam Kaufmann nach Duisburg, um im Rahmen der rollenden Ausstellung Zug der Erinnerung aus seinen autobiografischen Büchern wie Schade, dass du Jude bist. Kaleidoskop eines Lebens zu lesen. Dabei betonte er – wie stets –, »kein Opfer« zu sein.
Er habe in seinem Leben die Welt erleben können. Aber es vergehe kein Tag, an dem er nicht an seine Eltern denke, die in Auschwitz ermordet wurden. Über die deportierten jüdischen Kinder, die in der Ausstellung Zug der Erinnerung zu sehen waren, bemerkte er, er hätte sehr wohl eines der dort abgebildeten Kinder sein können.

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