Die Vorbereitungen dauerten fast ein Jahrzehnt, doch jetzt öffnet sich der Vorhang für eine ökologische Weltpremiere in der nordisraelischen Region Galil: In einigen Wochen soll Wasser aus Entsalzungsanlagen in den Kinneret fließen. Es wird das erste Mal weltweit sein, dass entsalztes Meerwasser in einen natürlichen Süßwassersee geleitet wird.
Der See Genezareth, in Israel Kinneret genannt, ist das zentrale Wasserreservoir des Landes. Darüber hinaus ist er das nationale Symbol für die blühende Natur und die Landwirtschaft des kleinen Nahoststaates.
Jahrelange Dürreperioden jedoch hatten den Wasserspiegel des Sees gefährlich sinken lassen.
Schwarze Linie und untere rote Linie
Er näherte sich zusehends der sogenannten Schwarzen Linie, unterhalb derer die Wasserentnahme als ökologisch riskant gilt. Aktuell liegt der Wasserstand nur noch etwa 22 Zentimeter über der unteren roten Linie (213 Meter unter dem Meeresspiegel, hier soll die Wasserentnahme bereits gestoppt werden).
Für Einheimische und Touristen ist der sinkende Wasserspiegel seit Jahren sichtbar: Strände haben sich um Hunderte Meter zurückgezogen, und Kampagnen wie »Israel trocknet aus« prägen seit Jahren das Bewusstsein einer ganzen Nation. »In den heißen Sommermonaten verliert der See täglich etwa einen Zentimeter Wasser durch Verdunstung. Wir hoffen, dass der Zufluss von entsalztem Wasser einen stabilen Wasserstand für Anwohner und Besucher gewährleistet«, sagt Idan Greenbaum, Vorsitzender der Vereinigung der Städte, die am See liegen.
Kampagnen wie »Israel trocknet aus« prägen seit Jahren das Bewusstsein einer ganzen Nation.
Die verantwortlichen Behörden sehen in dem Vorhaben einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der nationalen Wasserversorgung: »Der Kinneret ist unser zentrales Wasserreservoir. Israel verfügt nur über wenige natürliche Quellen, also ist dieser See sowohl emotional als auch strategisch von größter Bedeutung«, macht Yeheskel Lifschitz, Generaldirektor der israelischen Wasserbehörde Mekorot, deutlich.
Das Projekt mit dem Namen »Reverse Carrier« baut auf dem 1994 eingeweihten »National Water Carrier« auf, der jahrzehntelang Wasser aus dem Kinneret ins Zentrum und in den Süden des Landes leitete. Und jetzt wird es in die umgekehrte Richtung fließen: Entsalztes Meerwasser aus dem Mittelmeer wird über dieselbe Route zurück in den See gebracht.
Der National Water Carrier besteht aus einem System riesiger Rohre
Der National Water Carrier besteht aus einem System riesiger Rohre, offener Kanäle, Tunnel, Reservoirs und großer Pumpstationen. Der Bau war eine technische Herausforderung, da er durch unterschiedlichstes Gelände und Höhenlagen führt.
Nach Angaben der Wasserbehörde wird das entsalzte Wasser das ganze Jahr über kontinuierlich durch den Zalmon-Fluss in den See geleitet und belebt dadurch gleichzeitig ein einstmals trockenes Flussbett.
»Die Entsalzungstechnologie selbst ist nicht neu, die Innovation liegt im Konzept. Wir betrachten die Natur nicht nur als Wasserlieferanten, sondern auch als Wasserverbraucher. Dies ist ein einzigartiger Ansatz: Wir geben der Natur aktiv Wasser aus unseren Entsalzungsanlagen zurück«, erklärt Lifschitz. Er gibt an, dass das entsalzte Wasser hinsichtlich des Salzgehaltes und anderer Parameter eine höhere Qualität als das natürliche Wasser des Sees aufweist und keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten seien.
Obwohl starke Winterregen in den vergangenen Jahren die Umsetzung vorübergehend verzögerten, wurden Planung und Bau fortgesetzt. Mehrere Hundert Millionen Schekel wurden in neue Pipelines investiert. Küstenpumpstationen wurden modernisiert, um das Wasser nach Osten zu bringen – und so Israels bisherigen Wasserfluss umzukehren.
Extreme Dürre zwischen 2013 und 2018
Der Plan entstand nach der extremen Dürre zwischen 2013 und 2018, erklärt Firas Talhami, Leiter der Region Nord bei der Wasserbehörde. »Damals befanden wir uns unterhalb der unteren roten Linie und näherten uns gefährlich der schwarzen. Experten schlugen vor, das nationale Wassertransportsystem umzukehren – anstatt Wasser aus dem See zu entnehmen, sollten wir es dorthin zurückführen«, sagte Talhami unlängst der Zeitung »ynet«. »Und diese Idee wurde schließlich umgesetzt.«
Das entsalzte Wasser wird durch den Zalmon-Fluss in den See transportiert.
Gelingt das Projekt, könnte der Kinneret zu einem Modell für die zukünftige Wasserwirtschaft in einer zunehmend trockenen Welt werden. Ende Oktober oder Anfang November soll nach Angaben von Mekorot mit der Förderung begonnen werden. Zunächst sollen bis zu 5000 Kubikmeter Wasser pro Stunde fließen, das wären Millionen von Kubikmetern in den Herbst- und Wintermonaten, um den See zu stabilisieren.
»Dies ist ein historisches Ereignis, das es weltweit noch nie gegeben hat«, sagt Talhami nicht ohne Stolz. »Wir haben auch die ökologischen Auswirkungen berücksichtigt, und das Projekt wird den Zalmon-Fluss wieder zu einem ganzjährigen Wasserlauf machen und auf diese Weise die Pflanzen- und Tierwelt wiederbeleben.«
Das Wasser wird aus Entsalzungsanlagen in Aschdod, Hadera und anderen Küstenstädten gewonnen und über eine Entfernung von 100 bis 150 Kilometer transportiert. Laut Mekorot soll die Kapazität auf 15.000 Kubikmeter pro Stunde erhöht werden, sobald weitere Anlagen in Betrieb gehen.
»Das Projekt ist langfristig angelegt. Angesichts der sinkenden Niederschläge im Nahen Osten, insbesondere im Norden Israels, müssen wir den See auf einem hohen Niveau halten – als natürliche Ressource und strategische Reserve«, so Lifschitz. »Doch der Wassersektor plant Jahrzehnte im Voraus. Unser Masterplan reicht bis ins Jahr 2075.«