Geschichte

Reiner Neid?

Deutsche Volksgenossen vor einem geplünderten jüdischen Geschäft im November 1938 Foto: dpa

Geschichte

Reiner Neid?

Anmerkungen zu Götz Alys Versuch, den deutschen Antisemitismus zu erklären

von Wolfgang Wippermann  15.08.2011 14:20 Uhr

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Bottalk ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Bottalk angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

»Wer dieses Buch gelesen hat, wird den Holocaust als Teil der deutschen Geschichte verstehen«, heißt es im Klappentext des neuen Buches von Götz Aly. Holocaust als »Teil der deutschen Geschichte«! Gibt es keine jüdische Geschichte? Soll das heißen, dass der Völkermord an den Juden nur von Deutschen begangen worden ist? Und warum haben »die Deutschen« das getan? Weil sie »die Juden« beneidet haben.

eindimensional Eine verblüffend einfache Antwort. Doch stimmt sie? Waren die Deutschen wirklich nur neidisch? Hat Neid beziehungsweise der soziale Antisemitismus zur Schoa geführt? Was ist mit den anderen Komponenten des Antisemitismus? Wo bleibt der religiöse, genauer, christliche Antisemitismus? Haben die deutschen und anderen Christen die im Neuen Testament erwähnten jüdischen »Teufelskinder« und »Christusmörder« nur beneidet? Nein, sie haben sie gehasst! Und was ist mit dem Rassenantisemitismus? Die nach den Worten der deutschen und europäischen Ideologen des Rassismus »rassisch minderwertigen« Juden wurden nicht beneidet, sie wurden verachtet.

Die Juden, alle Juden und keineswegs nur die reichen und beruflich erfolgreichen, wurden sowohl aus sozialen wie rassistischen und nicht zuletzt auch religiösen Motiven diskriminiert und verfolgt. Dies keineswegs nur in Deutschland und von »den Deutschen«. Zum Völkermord an den Juden haben neben den ideologischen auch andere politische und wirtschaftliche Faktoren beigetragen. Alles auf den Antisemitismus und dann auch noch nur auf den deutschen zurückzuführen, ist nun wirklich etwas zu einfach.

persilscheine Dennoch ist die Lektüre von Warum die Deutschen? Warum die Juden? gerade deutschen Antisemiten zu empfehlen. Denn die gibt es heute immer noch. Sie, die gegenwärtigen Antisemiten, werden allerdings in dem Buch nicht erwähnt. Dafür die einschlägig bekannten historischen Judenfeinde: der Professor Ernst Moritz Arndt, nach dem bis heute in Berlin Schulen und selbst eine Kirche in Zehlendorf benannt sind, der Historiker Heinrich von Treitschke – eine Berliner Straße trägt unverändert seinen Namen, der Berliner Hofprediger Adolf Stoecker (der, wie Aly anmerkt auch ein »Vorkämpfer des deutschen Sozialversicherungssystems« gewesen sei). Und schließlich, wer wollte und könnte ihn vergessen, der bei sportlichen und unsportlichen Ost- und Westdeutschen immer noch als »Turnvater« verehrte Friedrich Ludwig Jahn.

Genannt, aber vom Vorwurf des Antisemitismus weitgehend freigesprochen werden der Philosoph Johann Gottlieb Fichte (er soll das mit dem »Abschneiden der Köpfe« der Juden nicht so gemeint haben) und die Schriftsteller Gustav Freytag und Wilhelm Raabe. (Freytag sei als »politisch engagierter Bürger und Liberaler für die Emanzipation der Juden« eingetreten; und Raabe habe immerhin die »jüdischen Nebenfiguren positiv gezeichnet«.) Dass Götz Aly diesen und einigen anderen Antisemiten philosemitische Persilscheine ausgestellt hat, wäre nicht notwendig gewesen.

philosemitismus Etwas zu dick aufgetragen ist auch Götz Alys eigener Philosemitismus. Das ständige Loblied auf die so intelligenten, beruflich erfolgreichen, patriotischen und tüchtigen deutschen Juden ermüdet etwas und wirkt heute nach der Katastrophe auch etwas schal und abgestanden. Außerdem stimmt es so nicht ganz. Schließlich waren nicht alle deutschen Juden Musterdeutsche. Einige wollten es ganz bewusst nicht sein. Zu ihnen gehörten die Zionisten. Doch die werden kaum erwähnt. Selbst Theodor Herzl taucht bei Aly nicht auf. Dass Herbert Baum, der von den Nazis ermordete Leiter der nach ihm benannten Berliner Widerstandsgruppe, ebenfalls nicht vorkommt, nehme ich Aly persönlich übel. Nicht gut finde ich auch seine antisozialdemokratische Häme. Sicher, Antisemitismus gab es auch innerhalb der Sozialdemokratie. Doch der war längst nicht so virulent und verbreitet wie bei den Konservativen. Und aus Franz Mehring sollte man nun wirklich keinen Antisemiten machen. Das hat der erste und bis heute wichtigste sozialdemokratische Historiker so nicht verdient. Der von Aly etwas abgekanzelte Friedrich Meinecke auch nicht.

Spätestens jetzt sollte aber der Rezensent zur Ordnung aufgerufen werden. Ich tue das gleich selbst, indem ich abschließend meinen Respekt vor dem Fleiß und der Belesenheit des Autors dieses im übrigen gut geschriebenen Buches zum Ausdruck bringe, in dem eine These vertreten wird, die zum Widerspruch reizt und wohl auch reizen soll. So soll es sein, und das ist gut so.

Wolfgang Wippermann ist Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin.

Götz Aly: »Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800–1933«, S. Fischer, Frankfurt/Main 2011, 352 S., 22,95 €

Glosse

Der Rest der Welt: Jüdische Labubus

Unsere Autorin dachte, sie könne das Hype-Thema »Labubus« getrost ignorieren. Doch dann grinste sie eins der Plüschmonster in Kippa und Tallit an.

von Mascha Malburg  11.08.2025

Geburtstag

Iris Berben wird 75

Publikumsliebling, Volksschauspielerin und Trägerin des Leo-Baeck-Preises: Am 12. August wird Iris Berben 75 Jahre alt

von Heike Hupertz  11.08.2025

Longevity

Für immer jung?

Die ZDF-Moderatorin Andrea Kiewel outet sich als Hypochonderin und beschreibt, warum man niemals zu alt ist, sich Gedanken übers Älterwerden zu machen

von Andrea Kiewel  11.08.2025

Kulturkolumne

Bekenntnisse eines Printosauriers

Unser Autor holte schon als Kind in Belarus die Zeitung vom Kiosk und ist auch als Erwachsener dem Druckfrischen treu geblieben. In Düsseldorf hat er nun eine ganz besondere Erstausgabe entdeckt

von Eugen El  10.08.2025

Richard Wagner

»Ehrt eure deutschen Meister«

Von Juden seiner Zeit wurde er verehrt und verspottet, in Israel war sein Werk lange tabu. In Luzern widmet sich nun eine Sonderausstellung dem jüdischen Blick auf den umstrittenen Komponisten

von Richard Blättel  10.08.2025

Film

Aus dem Kinderzimmer in den Knast

Die eigene kriminelle Karriere als Lachnummer – so funktioniert die israelische Serie »Bad Boy«, die jetzt auf Netflix läuft

von Ralf Balke  10.08.2025

Architektur

Klinker und Knesset

Er entwarf als Jude unter einem Nazi-Chef Kirchen und schließlich das Herzstück der neuen Demokratie in Israel. Eine Ausstellung in Berlin widmet sich dem Werk von Ossip Klarwein

von Stephen Tree  10.08.2025

Aufgegabelt

Lavendelsirup

Rezepte und Leckeres

von Nicole Dreyfus  10.08.2025

Dokumentation

»Mit tiefer Enttäuschung«

Künstler aus Thüringen üben mit einem Offenen Brief Kritik an ihren einseitig »israelkritischen« Kollegen

 07.08.2025