Kino

Paris—Auschwitz

Es ist auch in Frankreich nicht alltäglich, dass ein Film mit »ernstem« Thema Rekord-Zuschauerzahlen erzielt. La Rafle, übersetzt »Die Razzia«, ist das 2010 gelungen. Fast drei Millionen Besucher sahen Roselyne Boschs Regiearbeit über die Massenverhaftung der Pariser Juden im Juli 1942. Jetzt kommt der Film – unter dem wenig aussagekräftigen Titel Die Kinder von Paris – kommende Woche in die deutschen Kinos.

verdrängt La Rafle behandelt ein Stück lang verdrängter französischer Geschichte. Über Jahrzehnte war die aktive Rolle der einheimischen Behörden bei der Verhaftung von rund 13.000 Juden und ihrer Festsetzung im Velodrom der Hauptstadt ein Tabu gewesen. Noch François Mitterrand, Staatspräsident von 1981 bis 1995, hatte stets eine Anerkennung französischer Mitschuld verweigert. Der Sozialist, der dem Kollaborationsregime von Vichy selbst als Beamter gedient hatte, berief sich stets darauf, von französischer historischer Verantwortung könne nicht die Rede sein, da Frankreich besetzt gewesen sei. Erst sein Nachfolger Jacques Chirac räumte im Juli 1995 anlässlich einer Rede zum Jahrestag der Massenverhaftung die unmittelbare Mitverantwortung damaliger französischer Staatsorgane ein.

Die sieht man in dem Film in Aktion. Französische Polizei- und Gendarmeriebeamte reißen im Morgengrauen Türen auf, suchen nach Versteckten, schreien, prügeln, schüchtern ein, bringen Festgenommene – auch Kinder – zu den bereitstehenden Transportfahrzeugen. Die Gendarmerie organisiert den Abtransport der Opfer ins Vélodrome d’Hiver – die damals im Südwesten von Paris stehende riesige, überdachte Radrennbahn, die 1959 abgerissen wurde – und von dort in ein Durchgangslager in Beaune-la-Rolande, in der Nähe von Orléans. Dies ist die letzte Station, bevor die Opfer in Waggons in Richtung Auschwitz gepfercht werden.

klischees Den »bösen« Gendarmen stellt der Film streckenweise sehr klischeehaft die angeblich in ihrer Mehrheit »guten« Franzosen gegenüber. Zu denen zählt die Feuerwehr, die zwar ebenfalls zu der Massenverhaftung hinzugezogen wird, um die Durchgangslager zu unterhalten, dort aber gegen die Misshandlung der Festgenommenen eintritt. Ihr Kommandant übernimmt sogar den Oberbefehl in einem Lager, um die Schikanen durch die Gendarmen unterbinden zu können.

Er erweist sich jedoch gegen die Deportationsbefehle als machtlos. Ausnahmslos »gut« sind auch die zu den Hauptfiguren zählende Krankenschwester (Mélanie Laurent), die Nachbarn der Opfer, der Hausmeister, der Grundschullehrer. Allein eine Bäckerin und zwei, drei gar zu offensichtlich als Unsympathen identifizierte Antisemiten stehen auf der falschen Seite. In Wirklichkeit war die französische Gesellschaft der Besatzungsjahre nicht so deutlich zwischen »Freunden der Opfer« und Akteuren der Vernichtung aufgeteilt, wie die Rollen im Film es suggerieren. Es gab viele überzeugte Antisemiten und wenige Helfer der Verfolgten. Vor allem aber herrschte Schweigen, feiges Wegsehen, stumme Zustimmung.

happy end La Rafle versucht, historische Authentizität und eine bewegende Filmstory unter einen Hut zu bringen. So sieht man in einer Szene Marschall Pétain, den Chef des Vichy-Regimes, bei einem Treffen mit Hitler (dessen Darsteller Udo Schenk gar zu sehr mit Grimassen in Erscheinung tritt). Doch der Wechsel zwischen den Erzählebenen der großen Politik und den individuellen Schicksalen gelingt nicht wirklich. Zudem ziehen hochkarätige Schauspieler wie Gad Elmaleh und Jean Reno in der Rolle jüdischer Familienväter mit ihrem grandiosen Spiel zu viel Aufmerksamkeit von der Handlung weg auf sich.

Und leider ist der Tenor des Films auch zu optimistisch, gemessen an der Wirklichkeit. Im Zentrum stehen zwei zur Deportation bestimmte Jungen, Joseph Weissmann (gespielt von Hugo Leverdez) und Simon Zygler (Olivier Zywie). Ihnen gelingt die Flucht aus dem Durchgangslager beziehungsweise aus dem Deportationszug. Der Zuschauer begleitet das Schicksal der Jungen bis zum Kriegsende und dem Wiedersehen mit überlebenden Erwachsenen im Pariser Hotel Lutétia . Tatsächlich überlebten von den 13.000 Opfern der Razzia vom Juli 1942 nur 250 die Deportation. Unter ihnen war keines der 4.000 Kinder.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025