»The Death of Stalin«

Panik im Kreml

Chruschtschow, Malenkow, Molotow oder Beria: Wer wird Stalin beerben? Und wer vermag es, die anderen am kaltblütigsten auszustechen? Foto: Concorde Film

Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht.» Das Zitat des Dramatikers Eugène Ionesco lässt sich hervorragend auf den Zeitraum anwenden, dem der britische Regisseur und Autor Armando Iannucci seinen neuen Film gewidmet hat: die Sowjetunion unmittelbar nach dem Tod Stalins.

Denn The Death of Stalin ist eine Komödie – wenn auch eine pechschwarze –, die ihren Humor aus der allumfassenden Absurdität größtmöglicher, beinahe mythischer Macht bezieht.
Der quasi gottgleiche Status, den der Generalsekretär der UdSSR, Diktator, Tyrann, Massenmörder um sich herum aufgebaut hatte, sorgt nach seinem Tod im Jahr 1953 für schieres Chaos unter seinen engen Vertrauten: Wer wird Stalin beerben? Wer wird auf die Beerdigung eingeladen? Und: Wer vermag es, die Konkurrenten am kaltblütigsten auszustechen?

satire The Death of Stalin beruht auf einer Graphic Novel, und diesen Ursprung im Comic-haften sollte man mitdenken, wenn man sich auf Iannuccis Historiensatire einlässt. Der Regisseur ist an einer historisch korrekten Nacherzählung oder einem präzisen Porträt des Tyrannen ebenso wenig interessiert wie etwa Dani Levy in seiner Hitler-Farce Mein Führer (2007).

Ähnlich wie bei Levy, der genialerweise Helge Schneider als Hitler besetzte, liegt die Stärke dieses Films vor allem in seinem Casting: Das zentrale Quartett aus amerikanischen und britischen Schauspielern, die Stalins engste Vertraute verkörpern, harmoniert hervorragend miteinander und setzt sich aus einigen der besten englischsprachigen Schauspieler überhaupt zusammen: Steve Buscemi, Jeffrey Tambor, Michael Palin und Simon Russell Beale.

Ihre vier Figuren – Nikita Chruschtschow, Georgij Malenkow, Wjatscheslaw Molotow und Lawrenti Beria –, das macht der Film gleich zu Anfang deutlich, leben ein hochgradig privilegiertes, aber auch gefährliches Leben: Als Mitglieder von Stalins Ministerrat dinieren, zechen und scherzen sie ausgelassen mit dem Staatschef; doch schon ein einziges falsches Wort, ein schlechter Witz kann sie auf eine der berüchtigten Todeslisten bringen. Mit lakonischem Humor diktiert etwa Chruschtschow (Buscemi) darum jeden Abend seiner Frau die aktuellen «Dos und Don’ts» dieses inneren Zirkels.

Jüdin Im Zentrum von Stalins Paranoia steht ganz besonders Wjatscheslaw Molotow, Mitglied des Politbüros und früherer – sowie zukünftiger – Außenminister der Sowjetunion. Seine Frau Polina Schemtschuschina war Jüdin und wurde von Stalin 1949 wegen «Kontakts zu jüdischen Nationalisten» zu fünf Jahren Verbannung im zentralasiatischen Kustanai verurteilt. Sie fiel bei Stalin in Ungnade, weil sie sich 1948 mit Israels erster Botschafterin in der Sowjetunion, Golda Meir, auf Jiddisch unterhielt und sie dazu ermutigte, weiterhin an Rosch Haschana die Hauptsynagoge von Moskau zu besuchen.

Nach ihrer Verbannung musste Molotow als Außenminister abtreten, blieb einfaches Mitglied des Politbüros, konnte sich aber bis zuletzt nie ganz sicher sein, am nächsten Tag nicht doch noch selbst auf einer der zahlreichen «Verräterlisten» Stalins zu stehen.

Als Stalin dann einen Herzinfarkt erleidet – dessen Auslöser der Film frei erfindet –, ist die Aufregung erwartungsgemäß groß. Diese Anfangsphase, in der Iannucci die Reaktionen der vier Minister auf den Tod ihres Herrn auffängt, ist die beste und zugleich vielsagendste des Films: Hier treffen die absurde Angst, den Tod Stalins überhaupt anzuerkennen, sowie die bereits leise dämmernde Ambition, seine Position einzunehmen, mit großem komödiantischem Effekt aufeinander.

Macht Molotow, Chruschtschow, Malenkow und Beria geraten in Hektik. Nun steht vor allem die Rivalität zwischen Chruschtschow und dem gnadenlosen Geheimdienstchef Beria (Beale) im Vordergrund; beide schieben die anderen als eher einfältig charakterisierte Figuren auf dem Spielfeld der Macht mit dem Ziel hin und her, selbst an die Spitze des Staats zu gelangen – was, und hier hält sich Iannucci an historische Fakten, am Ende dem von allen unterschätzten Chruschtschow gelingen wird, den Steve Buscemi gekonnt als Mischung aus ungelenk und kühl kalkulierend interpretiert.

Die Vorwürfe, denen sich ein Film wie The Death of Stalin wohl zwangsläufig aussetzen muss – von wegen humoristische Verharmlosung eines Terrorregimes –, laufen hier übrigens ins Leere. Es ist bezeichnend, dass das russische Kulturministerium dem Film wenige Tage vor der Premiere in Moskau die ursprünglich bereits erteilte Vertriebslizenz entzog. Nur das Kino «Pionier» in Moskau zeigte The Death of Stalin für einige Tage, bis es sich dem Druck der Behörden beugte.

In einer offiziellen Begründung für das Verbot hieß es, es handele sich um «Verbreitung von Informationen, die auf dem Territorium der Russischen Föderation illegal» seien. Stalin ist in Russland immer noch eine umstrittene Person. 38 Prozent der Russen halten ihn für eine herausragende Persönlichkeit der Weltgeschichte – dicht gefolgt von Putin mit 34 Prozent.

Wahnsinn Regisseur Armando Iannucci zielt in seinem Film auf ein zynisches Porträt einer bestimmten Form von Macht und deren Auswirkungen ab, wie er es bereits mit anderem Kontext in seinen Parodien The Thick of it (die sich die britische Regierung und ihr Innenleben vorknöpft) und Kabinett außer Kontrolle getan hat. Und das funktioniert auch in The Death of Stalin hervorragend.

Armando Iannucci ist eine unterhaltsame, dank seines spielfreudigen Ensembles schreiend komische, aber auch gallige und verstörende Satire über jene Tage im Kreml gelungen, in denen der Wahnsinn, die Verkommenheit und die Unmenschlichkeit des Totalitarismus in grellem Licht erscheinen.

«The Death of Stalin». Regie: Armando Iannucci. Mit Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Jeffrey Tambor und Michael Palin. Ab 29. März im Kino

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