Polemik

Nicht witzig

Wer als Mitglied des auserwählten Humor-Volkes in der deutschen Film- und TV-Landschaft auf geniale humoristische Ergüsse im Stile eines Jerry Seinfeld oder Woody Allen hofft, der schaut im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre. Während der jüdische Humor über die Jahrhunderte hinweg durch Selbstironie und Tragik – das kann ein Pogrom, aber auch die eigene Ehefrau sein – zum Diamanten geschliffen wurde, dümpelt der deutsche Witz seit Langem auf dem Niveau einer Schulaufführung der Sekundarstufe I vor sich hin.

Frühere Größen wie Heinz Erhardt oder Loriot gaben ihr Zepter an einen Humor-Nachwuchs ab, der wild gestikulierend, fuchtelnd, schreiend und mit lächerlichen Perücken bewaffnet den deutschen Zuschauer mit einem derart primitiven Verständnis von Unterhaltung belästigt, dass es einem die Nackenhaare kräuselt. Sollte man angesichts dessen nicht doch lieber seine noch – oder schon wieder – gepackten Koffer zum Flughafen schleppen?

lachstreik Denn wer mit Ephraim Kishons, Larry Davids und Henryk M. Broders Witzen aufwächst und von A wie Alzheimer bis Z wie Zuchthaus über alles lachen durfte, was nicht nur die Lachmuskeln, sondern auch die Tränendrüsen stimuliert, der muss einfach stumm bleiben, wenn Cindy aus Marzahn ihr ungalantes Bühnenprogramm runterdonnert.

Und umgekehrt gilt: Wer den jüdischen Medienkonsumenten am ausgestreckten Comedy-Arm verhungern lässt, der muss eben mit einem Lachstreik rechnen. Besonders dann, wenn Ruhrpottslang und Pornobrille in Form eines Atze Schröder um viertel nach acht als Primetime-Unterhaltung verkauft werden.

Für Menschen, die erst anfangen können zu lachen, wenn andere bereits vor Scham im Erdboden versunken sind, ist dieser Zustand ein großes Desaster, das ausschließlich darin gipfeln kann, jedem Volk sein Recht auf gute Comedy einzuräumen. Bis dem so ist, kann man nur neidvoll über den großen Teich blicken und hoffen, dass die amerikanische Streaming-Website Netflix ihre Marktvorherrschaft behält.

Pragmatisch und diskursiv wird seit jeher in ernsten Runden und Gastbeiträgen für auflagenstarke Tageszeitungen darüber philosophiert, warum Deutschland keine ulkige Nation ist. Eine der schönsten Erklärungen dafür liefert »Lachforscher« Rainer Stollmann, bis 2012 Professor für Kulturwissenschaft an der Universität Bremen. Er beschreibt die Epoche der Romantik als Wurzel deutscher Liebe zur Ernsthaftigkeit. »Wer sich vor Sehnsucht verzehrt und gern Weltschmerz empfindet, lacht nicht«, sagte er vor Kurzem in einem Interview mit dem SPIEGEL. Der jüdische Witz dagegen werde linear zum bestehenden Leid immer besser.

Apropos: Kennen Sie den schon? Zwei Juden gehen durch den Wald. Auf einmal hören sie laute Schritte hinter sich. Einer der beiden schaut über seine Schulter und flüstert: »Da sind zwei Russen. Nichts wie weg hier! Die sind zu zweit, und wir sind allein.«

kleingeistig Sind die Deutschen also einfach zu höflich für ehrliche, dreckige und politisch unkorrekte Witze? Vicco von Bülow alias Loriot, der Mann, der diesem Land nach 1945 das Lachen wiedergab und mit seinem Tod im Jahr 2011 auch wieder nahm, stellte sein Publikum immer wieder vor die Frage: Konformität oder Höflichkeit? Ein weiser Mann, der wusste, dass Komik nur dann wirklich komisch ist, wenn sie sich nicht anpassen muss. Während viele deutsche Humoristen ebendiesen nicht besitzen, muss man als Jude und feingeistiger Komiker eine gehörige Portion Mut aufbringen, um sich dem nicht enden wollenden Drama politischer Korrektheit, verpackt in Kleingeist-Comedy, aussetzen zu können. Schließlich besagt Artikel 2 des Vertrages vom 12. September 1990 (Zwei-plus-Vier-Vertrag), dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird.

Bittersüß wird die Situation dann, wenn sich prominente Comedians öffentlich zu dieser Einsicht bekennen, wie der bayerische Blödelbarde Michael Mittermeier unlängst in einem Interview mit dem Handelsblatt: »Das deutsche Fernsehen ist in der Tat ein Komapatient.« Aus der deutschen Comedy-Szene hingegen sei »eine ganze Industrie geworden. Das haben wir übrigens bis heute England oder auch den USA voraus«. Als ginge es beim Humor um den Im- und Export von Autoteilen, weist der Komödiant ungewollt darauf hin, dass Mario Barth an zwei Tagen insgesamt 120.000 Menschen ins Berliner Olympiastadion brachte und damit einen Weltrekord aufstellte.

Hand aufs Herz: Nur die Deutschen können auf die Idee kommen, Humor zu bemessen. Dass diese 120.000 Mann starke Menge über Barths bekanntes und hektisches »Kennste, kennste?« lacht, leider niemand aufsteht und brüllt: »Ja, kenn ick, Mario, und jetz’ mach ma Platz für jemanden, der lustig ist!«, wird nicht erwähnt. Hier rüttelt man mit teutonischer Derbheit lieber so lange am zarten Humor-Pflänzchen, bis dieses von selbst eingeht wie eine lebensmüde Primel.

Gerade mal mit der Tiefe einer Aprilpfütze kann es zum Beispiel Der Nanny aufnehmen, der aktuelle Kinohit von Matthias Schweighöfer. Knall, Rumms, fliegende Autos, schreiende Kinder und derbe Witze auf Kosten anderer – guter Humor geht anders. Trotzdem – oder gerade deshalb? – haben bereits mehrere Millionen Menschen den Film im Kino gesehen. Es wird Zeit, dass Matthias Schweighöfer und sein Filmmentor Til Schweiger ihren Namen alle Ehre machen.

vorsicht Doch es ist nicht verwunderlich, dass man gute deutsche Komödien an einer Hand abzählen kann – kaum ein anderes Genre ist derart ehrlicher Resonanz ausgesetzt. Während Trauer, Liebe und Schmerz relativ einfach zu erzeugende Reaktionen sind, ist ein Lacher so schwer zu verdienen wie ein ordentliches Jahresgehalt. Anstatt Trauer, Liebe und Schmerz in den Witz zu integrieren und aus der Tragik eine lebensnahe Tragikomödie zu machen, zieht es das deutsche Witzeregiment vor, seine Zuschauer in Watte zu packen: Man nimmt lieber Shitstorms sämtlicher TV- und Filmkritiker in Kauf, als selbst einen Sturm der Entrüstung auszulösen.

Dem deutschen Humor fehlt es an Selbstironie, der Kunst, sich selbst zum zentralen Element der Komik zu machen. Ohne Requisiten, ohne Kostüme und ohne verfremdetes Hochdeutsch das Publikum herauszufordern, ist und bleibt immer noch die absolute Ausnahme. Dabei wäre es an der Zeit, endlich einmal auf den unterhalterischen Intellekt der Deutschen zu vertrauen.

Es bleibt zu hoffen, dass man in Deutschland vermehrt die mutigen Stand-up-Comedians zu Wort kommen lässt, zu denen Ingmar Stadelmann und – zumindest in seinen guten Momenten – Oliver Polak gehören, die der hiesigen Lachlandschaft jene Ehrlichkeit unterjubeln, die es braucht, um tief sitzende Lachmuskeln zu aktivieren.

erklärung Der 2014 verstorbene Schauspieler Robin Williams erzählt in seinem letzten Bühnenprogramm »Weapons of Self Destruction« (2010) von seiner Begegnung mit einer deutschen Journalistin. Diese fragte Williams, was seiner Meinung nach der Grund für die einfallslose Comedy-Szene in der Bundesrepublik sei. Williams antwortete: »Did you ever think you killed all the funny people?« (Haben Sie jemals daran gedacht, dass Deutschland alle lustigen Menschen umgebracht hat?).

So oder so erinnert das Suchen nach diversen Gründen für die schwach ausgeprägte deutsche Comedy-Identität an die US-Liebeskomödie Er steht einfach nicht auf dich! aus dem Jahr 2009. Darin sucht die Protagonistin verzweifelt nach Antworten und Ausreden für die Ablehnung desjenigen Mannes, den sie leidenschaftlich liebt. In Anlehnung daran könnte man mit Blick auf die deutsche Humor-Szene sagen: Sie ist einfach nicht lustig.

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025

Filmkritik

»Nobody Wants This« – die Zweite

Die Fortsetzung der Netflix-Hit-Serie »Nobody Wants This« ist angelaufen. Allerdings sorgen diesmal vor allem die Nebenrollen für randvolle Herzen. Vorsicht Spoiler

von Sophie Albers Ben Chamo  06.11.2025

Kunst

Maler und Mentor

Eine Ausstellung in Baden-Baden zeigt Max Liebermann auch als Förderer impressionistischer Kollegen

von Eugen El  06.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 06.11.2025

Film

»Vielleicht eines der letzten Zeitdokumente dieser Art«

Die beiden Regisseure von »Das Ungesagte« über ihre Doku mit NS-Opfern und ehemaligen Mitläufern, Kino als Gesprächsraum und die Medienkompetenz von Jugendlichen

von Katrin Richter  06.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

Yitzhak Rabin

Erinnerung an einen Mord

Wie ich am 4. November 1995 im Café Moment in der Jerusalemer Azza Street vom tödlichen Anschlag auf Israels Ministerpräsident in Tel Aviv erfuhr

von Ayala Goldmann  04.11.2025