NS-Täter

Mörderisch und unbehelligt

Polizisten als Verbrecher Foto: Prospero

NS-Täter

Mörderisch und unbehelligt

Eine Studie über die deutsche Ordnungspolizei im besetzten Warschau

von Miriam Magall  26.08.2013 18:44 Uhr

Man meint, über die Täter der Schoa sei alles gründlich erforscht. Doch wenn man das Buch Vernichtung. Die deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord im Warschauer Ghetto 1940–43 liest, wird man eines Besseren belehrt: Die Polizei war genauso tief in die Grausamkeiten und Morde an Juden verwickelt wie Wehrmacht und SS. Nur ist es ihr bisher gelungen, sich eine einigermaßen weiße Weste zu erhalten. Stefan Klemp macht die braunen Flecken sichtbar, die diese Weste beschmutzen.

»Schützenkönige« Vor allem, aber nicht nur anhand des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943 führt Klemp vor, wie einzelne Polizeibataillone aktiv an der Zerschlagung des Aufstands beteiligt waren. Akribisch beschreibt Klemp, wann und wo Polizeieinheiten in Warschau aktiv waren und wie sie sich »auszeichneten«.

Wie mörderisch ganze Bataillone oder einzelne Angehörige agierten, beweisen schon die Spitznamen, unter denen sie in Warschau berüchtigt waren: »Duschek Judenschreck«, »Frankenstein«, »Der Töter« oder »Totenkopfjäger«. Schutzpolizisten wetteiferten, wer die meisten Juden erschießt; die Spitzenreiter wurden als »Schützenkönig« ausgezeichnet. Ein Großteil der Polizeibataillone stammte aus Dortmund, Bochum und Duisburg.

Klemp kommt nach einer längeren Diskussion der Frage, ob man solche Mörder als normale Menschen bezeichnen könne oder ob die Grenzen zwischen Normalität und Pathologie fließend sind, zu dem Schluss, dass es sich bei den brutalsten Mördern um Psychopathen handelt.

prozesse Ebenfalls geht Klemp der Frage nach, was nach 1945 mit den Tätern geschah. Er untersucht Prozesse in Dortmund und Hamburg und vergleicht den Umgang mit den Mördern in der Bundesrepublik mit dem der Sowjets und in der DDR. Während die Sowjets Klemp zufolge zu pauschal verurteilen und hinrichten, tut sich dagegen in Westdeutschland kaum etwas.

In Dortmund wird ohne jüdische Zeugen verhandelt, wenngleich aussagekräftige Zeitzeugenberichte etwa von Wladyslaw Bartoszewski und Janina Bauman vorliegen, und Dan Kurzman, Josef Wulf und Israel Gutman über das Ghetto, den Aufstand und die Täter aus Sicht der Ghetto-Bewohner detailliert geschrieben haben. Klemp: »Für die Ermittlungen gegen Ordnungspolizisten ist kennzeichnend, dass bundesdeutsche Staatsanwaltschaften in der Regel zu spät, häufig ohne das erforderliche Engagement und oft erfolglos ermittelt haben ... DDR-Verfahren sind ... systematischer geführt worden.«

Die Schutzpolizei wird damals gar nicht mit den Verbrechen in Warschau in Verbindung gebracht, diese werden allein SS und Gestapo angekreidet. Erst in den 90er-Jahren finden die Verbrechen der Schutzpolizei dank der Bücher von Christopher Browning und Daniel Goldhagen Beachtung. Die meisten Täter wurden nie gerichtlich belangt.

Abgesehen davon, dass Klemp einen Großteil der besonders sadistisch agierenden Mörder als Psychopathen definiert, (dem die Rezensentin nicht zustimmt), ist seine Untersuchung der deutschen Ordnungspolizei im Zusammenhang mit dem Mord an Juden in Warschau wichtig und überfällig.

Stefan Klemp: »Vernichtung. Die deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord im Warschauer Ghetto 1940–43«. Prospero, Münster und Berlin 2013, 288 S., 19 €

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