»The Limehouse Golem«

Mörder, Musik und Marx

»The Limehouse Golem« steht in neo-viktorianischer Tradition. Foto: Nicola Dove/Concorde Filmverleih/dpa

Das viktorianische London verliert nicht an Faszination – es übt einen morbiden Reiz aus, dem sich die Popkultur offensichtlich nicht entziehen kann. Dass die zahlreichen in dieser Epoche angesiedelten Fiktionen längst ein eigenes, düsteres Paralleluniversum geschaffen haben, das historische Tatsachen weitgehend ignoriert, tut dem Spaß keinen Abbruch.

Filme wie die Adaption von Alan Moores Graphic Novel From Hell tauchen mit diabolischem Vergnügen in die von Armut, reaktionärem Zeitgeist und Gin-getränkter Lüsternheit geprägte Kunstwelt ein. In dieser neo-viktorianischen Tradition steht auch The Limehouse Golem, der auf einem Roman des Autors Peter Ackroyd beruht.

grausig Vor allem ein rastloser Geist, der wie kein anderer für die Abgründe dieser Zeit steht, spukt durch Regisseur Juan Carlos Medinas Adaption: Jack the Ripper. Denn mag der Film auch zu Anfang in großen Lettern versichern, dass er 1880, also acht Jahre vor den ersten Taten des Rippers einsetzt, spielt er doch in diversen Details auf den nie gefassten berüchtigten Serienkiller an.

The Limehouse Golem erzählt von einer ähnlich grausigen, jedoch fiktiven Mordserie, begangen von einem Täter, der sich nach dem mysteriösen Lehm-Geschöpf der jüdischen Mythologie benannt hat: dem Golem. Was es mit dieser jüdischen Thematik genau auf sich hat – im Verlauf des Films folgen weitere Anspielungen –, wird nicht ganz klar.

Sie liefert Regisseur Medina jedoch einen Vorwand, niemand Geringeren als Karl Marx in die Reihe der Verdächtigen aufzunehmen. Auftritte von zeitgenössischen Berühmtheiten sind im neo-viktorianischen Genre durchaus gängig – mit seiner albernen Vision von Marx als möglichem Prostituiertenmörder tut sich The Limehouse Golem allerdings keinen Gefallen.

Rückblenden Generell kann sich das Drehbuch nicht recht zwischen History Trash und stilvollem Krimi entscheiden. Da ist einerseits der von Bill Nighy gespielte Protagonist – Scotland-Yard-Kommissar Kildare –, der dem Film angenehme Gravitas verleiht; auf der anderen Seite aber steht ein überdrehter Blick in die Welt des viktorianischen »Music Theatre«: Dort ist die Komödiantin Lizzie (Olivia Cooke) zu Hause, deren Schicksal der Film in Rückblenden aufrollt und mit den Untaten des »Golems« verstrickt.

Zusehend vernachlässigt das Skript dabei die narrativen Zusammenhänge, reduziert Dialoge auf Stichwortsammlungen für die nächste Szene, opfert Zwischentöne überkonstruierter Drastik. Ein Galgen in einer Theaterkulisse wird etwa im ersten Akt mit solch penetrantem Augenzwinkern eingeführt, dass man die Minuten bis zu seinem tödlichen Einsatz fast herunterzählen kann.

Trotz des misslungenen Drehbuchs fühlt man sich in der opulent ausgestatteten Düsternis des Films aber durchaus wohl; atmosphärisch dicht ist diese Londoner Moritat allemal, nur am erzählerischen Fingerspitzengefühl mangelt es ihr.

www.youtube.com/watch?v=sz-5Y3PDM00

Zahl der Woche

3.123.000 Menschen

Fun Facts und Wissenswertes

 28.10.2025

Imanuels Interpreten (14)

Neil Diamond: Der Romantiker

Das mit einer ansprechenden Stimme ausgestattete jüdische Talent wurde zum Publikumsliebling – genau wie seine ebenso prominente Klassenkameradin

von Imanuel Marcus  28.10.2025

Premiere

»Übergriffe gegen uns sind mittlerweile Alltag«

Anfeindungen, Behinderungen, Drohungen und Übergriffe: Ein neuer Film dokumentiert die Pressefeindlichkeit bei vielen Pro-Palästina-Demonstrationen in Berlin. Die Journalisten-Union warnt vor den Folgen für die Pressefreiheit hierzulande

von Markus Geiler  28.10.2025

Rotterdam

Unbehagen im Love Lab

Die jüdische Soziologin Eva Illouz ist an der Rotterdamer Erasmus-Universität nicht willkommen. Sie spricht von einer »antisemitischen Entscheidung«, die immerhin demokratisch zustande gekommen sei

von Michael Thaidigsmann  28.10.2025

Berlin

Mascha Kaléko und die Reise ihres Lebens: »Wenn ich eine Wolke wäre«

Elf Jahre nach Kriegsende entdeckte Deutschland seine verlorene Dichterin wieder. Volker Weidermann gelingt ein berührendes Porträt der Lyrikerin

von Sibylle Peine  28.10.2025

Kommentar

Politisches Versagen: Der Israelhasser Benjamin Idriz soll den Thomas-Dehler-Preis erhalten

Wer wie der Imam den 7. Oktober für seine Diffamierung des jüdischen Staates und der jüdischen Gemeinschaft instrumentalisiert, ist eines Preises unwürdig

von Saba Farzan  28.10.2025

Fernsehen

Selbstermächtigung oder Männerfantasie?  

Eine neue Arte-Doku stellt den Skandalroman »Belle de jour« des jüdischen Schriftstellers Joseph Kessel auf den Prüfstand  

von Manfred Riepe  27.10.2025

Stuttgart

»Mitten dabei!«: Jüdische Kulturwochen beginnen

Konzerte, Diskussionen, Lesungen und Begegnungen stehen auf dem vielfältigen Programm

 27.10.2025

Biografie

Vom Suchen und Ankommen

Die Journalistin hat ein Buch über Traumata, Resilienz und jüdische Identität geschrieben. Ein Auszug aus ihrer ungewöhnlichen Entdeckungsreise

von Sarah Cohen-Fantl  26.10.2025