»Ehrenfried & Cohn«

Modisch geht die Welt zugrunde

Denkmal für die Berliner jüdische Modebranche am Hausvogteiplatz Foto: dpa

Wer an Mode denkt, dem fällt zunächst Paris ein. Nur wenige wissen, dass auch im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts und vor allem nach dem Ersten Weltkrieg die Bekleidungsbranche florierte. Viele der führenden Köpfe hinter den wachsenden Kleiderschmieden, damals Konfektionshäuser genannt, waren Juden – wenn auch nicht 90 Prozent, wie es die Propaganda der Nationalsozialisten glauben machen wollte.

Auch Kurt Ehrenfried, die Hauptfigur in Uwe Westphals Roman Ehrenfried & Cohn, ist jüdisch, säkular, selbstbewusst und sehr ehrgeizig. Im Berlin des Jahres 1935 hat er einen großen Traum: eine spektakuläre Modenschau kurz vor den Olympischen Spielen. Dieser Traum wird am Ende wahr. Zusammen mit einem anderen Traum, einem Albtraum – der schleichenden »Arisierung« der Berliner Geschäftswelt. Schritt für Schritt verlieren jüdische Unternehmer ihr Eigentum, ihre Mitarbeiter, ihre Existenz.

kompromisse Auch Ehrenfried muss Kompromisse machen, nach dem Motto: »Wenn du den Feind nicht besiegen kannst, verbünde dich mit ihm.« Er kämpft nicht nur um seinen geschäftlichen Erfolg, sondern auch um die Anerkennung in der Gesellschaft. Er will nicht als Jude auffallen, sich auch optisch seiner nichtjüdischen Umgebung anpassen, er will, im wahrsten Sinne des Wortes, den Kaftan der »Schtetl-Juden«, wie er die Juden aus Osteuropa nennt, samt dem muffigen Geruch alter religiöser Traditionen ablegen.

Sein Mitarbeiter Landauer ist ein solcher »Ostjude«, der Jiddisch spricht, mit 20 Jahren schon mehrere Kinder hat und jeden Schabbat in die Synagoge geht. Ehrenfried begegnet Landauer mit einer Mischung aus Verachtung und Bewunderung. Dennoch entsteht zwischen beiden so etwas wie Vertrautheit. Landauer ist es, der Ehrenfried immer wieder an die dunklen Wolken erinnert, die sich über dem blauen Berliner Himmel zusammenziehen, und Ehrenfried hasst ihn dafür. Er fühlt, dass Landauer recht hat, aber mehr noch als die Nazis fürchtet er das Scheitern seiner Modenschau – ein tragischer Irrtum, wie sich am Ende herausstellt.

Und da ist auch noch der Stoffhändler Rudi Berlau, genannt Rube. Rube ist ein Bonvivant, der Frauen und Männer gleichermaßen anzieht; charmant und arrogant zugleich; eitel, aber nicht narzisstisch; berechnend, aber nicht kalt. Das Geschäft ist sein politisches Forum, die Mode sein politisches Programm. Skrupel-, aber nicht gewissenlos, kollaboriert er einerseits mit den Nazi-Größen, die die Wirtschaft bestimmen, und verhilft andererseits Berliner Juden – letztendlich auch Ehrenfried und seiner Familie – zur heimlichen Flucht ins Ausland.

Zerstörung Uwe Westphal befasst sich mit dem Thema der jüdischen Berliner Konfektionshäuser schon seit den 80er-Jahren. 1986 erschien sein Sachbuch Berliner Konfektion und Mode 1836–1939, in dem er sich intensiv mit der Geschichte dieses Wirtschaftszweigs auseinandersetzt: der Entstehung der großen Modehäuser und der Rolle und Bedeutung der jüdischen Textilfabrikanten darin, der wachsenden Diskriminierung von jüdischen Arbeitern und Eigentümern, und schließlich der Zerstörung einer Branche mit einer jahrhundertealten Tradition. Alle diese Fakten sind auch Gegenstand des Romans, werden aber hier in leichter verdaulicher Weise präsentiert.

Uwe Westphal erzählt Ehrenfrieds Geschichte pars pro toto, stellvertretend für alle jüdischen Betriebe der Konfektionsbranche, die im Nationalsozialismus vernichtet wurden. Der Autor zeichnet die Figuren wie durch ein Kameraobjektiv, aber mit nur minimalem individuellen Profil. Ehrenfried und die anderen sind Prototypen, fast statisch, die vor allem in den – seltenen – Dialogen zum Leben erwachen. Der Autor wechselt immer wieder von der Perspektive einer Einzelfigur – ohne allerdings die Ich-Form zu bemühen – zum allwissenden Erzähler. Das verhindert, dass man mit den Figuren richtig warm wird.

Der Roman von knapp 180 Seiten liest sich wie ein langer dokumentarischer Bericht. Dazu gehören Details wie die Erklärung von Fremdwörtern im Text oder Ortsbeschreibungen, die wie Anleitungen eines Navigationssystems klingen. Erst wenn es »menschelt«, wenn die Figuren reden, streiten, Gefühle oder Schwächen zeigen, wird Ehrenfried & Cohn – vor allem gegen Ende des Buches – spannend und sehr emotional. Dennoch: Wer das traurige Kapitel der Zerschlagung einer Berliner Branche auf unterhaltsame, dennoch hintergründige Weise lesen will, kommt bei Uwe Westphal voll auf seine Kosten.

Uwe Westphal: »Ehrenfried & Cohn«. Roman. Lichtig, Berlin 2015, 186 S., 18 €

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025