Filmfestival

Locarno erinnert an Remigranten

Das Filmfestival in Locarno Foto: dpa

Der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen!», verkündeten 1962 in der Oberhausener Erklärung junge deutsche Regisseure. Der alte Film – das waren Heimatfilme, Schlagerfilme, eine vom Markt beherrschte Produktion, künstlerisch belanglos, antiquiert und ohne politische Perspektive.

Der junge deutsche Film mit Alexander Kluge, Edgar Reitz, Volker Schlöndorff, Wim Wenders oder Rainer Werner Fassbinder hat die Werke der 50er-Jahre in die Bedeutungslosigkeit verdrängt. Noch immer haben die Produktionen der jungen Bundesrepublik einen schlechten Ruf.

exil Am heutigen Mittwoch beginnt mit einer großen Retrospektive beim Festival von Locarno in der Schweiz bis zum Ende der Spiele am 13. August der bisher ambitionierteste Versuch, die deutschen Filme jener Jahre noch einmal mit neuen Augen zu sehen. Der Kurator der Schau, der Kölner Filmjournalist Olaf Möller, ist der Überzeugung, dass diese so verachteten Filme viel reicher, interessanter und moderner waren als wir heute meinen. Sie zeigen, beschreibt Möller, «eine BRD im Aufbruch». Viele Filme zeugen aber auch davon, wie intensiv die Regisseure sich mit der NS-Zeit auseinandergesetzt haben – weit weg von der pathetischen Ästhetik der Nazizeit.

Wesentlich zur Qualität des bundesdeutschen Films trugen zurückgekehrte jüdische Emigranten bei. Robert Siodmak (1900–1973) etwa flüchtete während der Nazizeit ins Exil und führte erst wieder in den 50er-Jahren in Deutschland Regie. Er überzeugte nicht nur mit Nachts, wenn der Teufel kam, sondern auch mit einer Verfilmung von Gerhart Hauptmanns Die Ratten.

Frank Wisbar, der ebenfalls in die USA emigriert war, hat mit Hunde, wollt ihr ewig leben (1959) die Schlacht um Stalingrad in all ihrer brutalen Härte gezeigt. Fritz Lang, der zwischen 1956 und
1960 aus den USA nach Deutschland zurückkehrte, vollendete seinen Mabuse-Zyklus aus der Zeit vor 1933 mit Die tausend Augen des Dr. Mabuse (1959).

Frauenmörder Den vermutlich stärksten Film eines Emigranten drehte Peter Lorre 1951 mit Der Verlorene: Ein Arzt, von den Nazis zur Mitarbeit gezwungen, zerbricht an seiner Schuld, wird zum Frauenmörder. In seinem einzigen Regie-Werk spielte Lorre auch die Hauptrolle – ebenso unvergesslich wie seine Darstellung des Mörders in Fritz Langs M von 1931.

Das Nachkriegskino hat eine Generation geprägt, die versuchte, ihre kulturelle Identität wieder aufzubauen – so beschreibt es Carlo Chatrian, künstlerischer Leiter des Festivals Locarno. «Es ist ein hervorragendes Beispiel einer Kunst, die viel zu schnell abgeschrieben und als rein kommerzielles Produkt angesehen wurde.»

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