Spionage

Liebesgrüße aus Moskau

Max Eitingon (1881–1943) Foto: dpa

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Liebesgrüße aus Moskau

Der Psychoanalytiker Max Eitingon arbeitete in Berlin und Jerusalem für die Sowjets

von Karl Pfeifer  31.07.2012 11:55 Uhr

Hat Max Eitingon (1881–1943), einer der frühen Schüler Sigmund Freuds und führender Psychoanalytiker in Europa und Palästina, mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammengearbeitet? Isabella Ginor und Gideon Remez, Mitarbeiter am Truman Institute der Hebräischen Universität Jerusalem, haben einen Aufsatz publiziert, der sich liest wie ein Spionagethriller und der ein neues Licht auf eine jahrzehntelange Debatte wirft. Diese begann 1988 und konzentrierte sich hauptsächlich auf Eitingons Aktivitäten während der 20er- und frühen 30er-Jahre, als er ein psychoanalytisches Institut und eine Klinik für kostenfreie Behandlung in Berlin leitete.

Eitingon war kein Topspion oder Mörder, wie einige behaupten, eher stellte er Geld und Informationen sowie sein prächtiges Haus als geheimen Unterschlupf zur Verfügung. Bekannt waren bislang die enge Verbindung seiner Familie zu dem sowjetischen System – sie hatte ein Beinahe-Monopol auf den Pelzimport aus der UdSSR – und seine Verwandtschaft mit dem NKWD-General Naum (alias Leonid) Eitingon, einem der Planer des Mordes an Leo Trotzki.

Mirra Aber bedeutender ist die Neubewertung von Eitingons Ehefrau Mirra und ihrer Familie. Um ihre Rolle zu verstehen, mussten die Autoren erst einmal herausfinden, wer diese beeindruckende Frau wirklich war. Weil Freud und einige seiner männlichen Kollegen sie nicht mochten und herabsetzten, hielt sich das Bild, sie sei verwöhnt und oberflächlich gewesen. Eine der Bemerkungen Freuds über Mirra war, sie sei eine »Komödiantin«, aber es wurde auch erwähnt, dass sie in Konstantin Stanislawskis Moskauer Künstlertheater spielte. Ginor fand heraus, dass sie 1877 als Mirra Burovskaya in einer jüdischen Familie in der südrussischen Stadt Ekiaterinodar (jetzt Krasnodar) geboren wurde.

Ihre Karriere war kurz und erreichte ihren Höhepunkt, als sie 1908 die Hauptrolle in Stanislawskis großem Erfolg, Maeterlincks Blauer Vogel, spielte. Sie wurde so die erste jüdische Schauspielerin, der es gelang, die zaristischen Gesetze gegen Juden zu überwinden und im russischen Theaterleben einen Platz zu erringen.

Mirra war vor ihrer Ehe mit Eitingon bereits zweimal verheiratet. Yuli, der 1904 geborene Sohn aus ihrer Ehe mit Boris Khariton, einem Aktivisten der Konstitutionellen Demokratischen Partei, war bis zu seinem Tod im Jahr 1996 eine geheimnisumwitterte Person. Erst während der letzten Jahre der Sowjetunion wurde enthüllt, dass Yuri der Vater der sowjetischen Atombombe war.

auswanderung Der in Mohilev in Weißrussland geborene Max Eitingon wuchs in Moskau auf. Sein orthodoxer Vater, der Pelzhändler Chaim Eitingon, wurde 1891 mit allen Juden, die zum zweiten Rang der Innungen gehörten, aus Moskau ausgewiesen. Ein lebenslanges Trauma für den elfjährigen Max, das ihm das zaristische Regime sicher nicht im günstigen Licht erscheinen ließ.

Zuerst ging die Familie nach Buczacz in Galizien, das zur k.u.k.-Monarchie gehörte. Später ließ Chaim Eitingon sich in Leipzig nieder, wo er eine wichtige Rolle im Pelzhandel und in der jüdischen Gemeinde spielte. Max besuchte mehrere Universitäten. In Zürich, wo er Medizin und Psychiatrie studierte, traf er Anna Smeliansky, die Schwester des bekannten israelischen Schriftstellers Moshe Smilansky. Anna stellte Max ihre Freundin Mirra vor.

Mirra wollte Max zunächst nur als Psychiater konsultieren, er aber verliebte sich in sie, die so verschieden war von den Frauen seines orthodoxen Heimes und der Ehefrauen aus Freuds Kreis, dem er sich kurz zuvor angeschlossen hatte. Sie heirateten 1913. Max hatte in der Zwischenzeit seine Praxis in Berlin eröffnet, doch als der Krieg ausbrach, meldeten sich beide zur österreichischen Armee, er als Arzt, sie als Krankenschwester, und wechselten Briefe aus verschiedenen Spitälern an der Ostfront.

Pelzhandel Die Machtergreifung der Bolschewiken im November 1917 änderte die Lage der in Russland lebenden Eitingons. Einer großen Gruppe von Mitgliedern der Familie gelang es 1918, Sowjetrussland legal zu verlassen. Wahrscheinlich ging das nur mithilfe der sowjetischen Botschaft in Berlin, deren Chef Adolf A. Joffe den von ihm bewunderten Freud in Wien besucht hatte, als Eitingon sich dort aufhielt. Die Flüchtlinge schlossen bald lukrative Verträge für den Pelzexport mit Moskau ab, welche vom neuen Hauptsitz der Familienfirma in New York vermarktet wurden. Diese Firma hatte auch General Naum Eitingon mit Geld und Kontakten versehen, als er anreiste, um Trotzkis Ermordung und ein Atomspionage-Netzwerk zu planen.

Max Eitingon ermöglichten die Familiendollars, in der kriegsgeschädigten Weimarer Republik, besonders während der Inflation 1922, eine Machtstellung in der Freudianischen Bewegung zu erlangen – durch die Finanzierung ihrer Aktivitäten und Verlagshäuser sowie des Instituts und der Klinik in Berlin. Sein luxuriöses Haus mit dem von Mirra geführten Salon, dessen literarische und musikalische Soireen russische Exilanten aller politischen Schattierungen anzogen, die auch oft für lange Zeit im Haus logierten, wurde zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt.

Seit den frühen 20er-Jahren hatten die Eitingons zwei häufige Gäste: die russische Volkssängerin Nadezhda Plevitskaya und ihren Ehemann, den früheren »weißen« General Nikolai Skoblin. Inzwischen wurde schlüssig bewiesen, dass die beiden 1931 – während sie bei den Eitingons wohnten – als sowjetische Agenten rekrutiert wurden.

Familie Es gab noch ein Motiv für Eitingons geheimdienstliche Mitarbeit an der Seite von Mirra. Ihrem Ex-Mann Boris Khariton, der unter dem Zaren oft im Gefängnis saß, ging es unter den Sowjets noch schlechter. Er wurde 1922 ins Exil geschickt und ließ sich in Litauen nieder, wo er eine Emigrantenzeitung publizierte. (1941 wurde er dort von den Sowjets verhaftet und starb auf dem Weg in den Gulag.) Seinen Sohn Yuli hatte er in der Sowjetunion gelassen, der ein ausgezeichneter Student am Leningrader physikalisch-technischen Institut wurde.

Zudem wurde Yuli Khariton 1926 ausgewählt, sein Doktorat im Physiklabor von Ernest Rutherford an der Universität Cambridge zu beenden, wo schon eine aktive sowjetische Spionageabteilung operierte. Auf dem Weg dorthin und zwei Jahre später auf seinem Weg zurück durfte er seine Mutter und seinen Stiefvater Max in Berlin besuchen. Dies und andere Hinweise lassen keinen Zweifel, dass Yuris Überleben während Stalins Säuberungskampagnen sowie sein Aufstieg in der wissenschaftlichen und militärischen Hierarchie – trotz seines familiären Hintergrunds, der in so vielen ähnlichen Fällen zur Verhaftung und Schlimmerem führte – der Geheimdienstmitarbeit seiner Familie zu danken war.

Alija Es gibt Hinweise, dass Eitingons Aktivität für die Sowjets weiterging, nachdem die Nazis ihn aus Berlin vertrieben. Zur Überraschung aller emigrierte er 1934 in das entfernte und verschlafene Jerusalem, wo er wieder die ersten psychoanalytischen Institutionen gründete und finanzierte. Obwohl er Freud mitteilte, dass seine Familie während der Depression verarmt war, hatte Max noch 1938 genug Geld, um ein luxuriöses Haus in Jerusalem zu errichten und Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen. Es kam auch zu einer Verbindung zwischen den Eitingons und dem Schriftsteller Arnold Zweig, der wie sie aus Deutschland geflüchtet war. In Zweigs Buch Traum ist teuer wurden Max (als Dr. Manfred Jacobs) und seine Frau Mirra porträtiert.

Seit 1938 hatte sich Eitingons finanzielle Situation zusehends verschlechtert. Möglicherweise hatten die Sowjets ihn fallen gelassen. Max hat das Haus, das er in Jerusalem bauen ließ, nie besessen. Mirra musste bald nach seinem Tod 1943 ausziehen. Sie blieb als Witwe mittellos und wohnte bei ihrer alten Freundin Anna Smeliansky, die in Tel Aviv als Psychiaterin praktizierte. Mirra starb im September 1947 und wurde neben Max auf dem Ölberg begraben.

Isabella Ginor und Gideon Remez: »Her Son, the Atomic Scientist: Mirra Birens, Yuli Khariton, and Max Eitingon’s Services for the Soviets«. Erschienen im Journal of Modern Jewish Studies, März 2012, S. 39–59

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