Erfahrungsbericht

»Krasse Ehre, Sie zu kennen«

Frau Feynberg, sind Sie Moslem?» Da ich dunkle Haare habe und einen eher ungewöhnlichen Nachnamen, sind Fragen vorprogrammiert. Wenn ein Vorurteil auftaucht, dann sprechen wir eben darüber. Ich glaube nicht, dass es mir gelingt, damit aufzuräumen, aber vielleicht kann ich zumindest den Hass gegen Unbekanntes etwas minimieren.

«Warum spielt es eine Rolle, welche Religion ich habe?» «Spielt nicht, aber ich wollt wissen. Also. Moslem?» «Nein.» «Christin?» «Auch nicht.» «Hä, was gibt es noch?» «Ich bin jüdisch.»

wallah! Fatihs Augen weiten sich ins Unermessliche. «Schwören Sie!» «Wirklich. Meine Mutter ist jüdisch, also bin ich es auch. Außerdem dürfen Juden nicht schwören. Moslems übrigens auch nicht.»

Das sind vielleicht zu viele Informationen auf einmal. Fatih scheint überfordert zu sein. «Warum schwörst du zum Beispiel bei jedem zweiten Satz? Und viele andere auch?» «Aber wenn es stimmt, was man sagt, darf man!»

«Ey, ich habe noch nie einen Juden gesehen!», schreit Emre. Das Thema nimmt alle so sehr ein, dass sich bald eine kleine Gruppe um Fatih und mich gebildet hat. «Woher weißt du, dass du noch nie einen Menschen jüdischen Glaubens gesehen hast? Glaubst du, sie sehen anders aus?» «Ja, ich dachte schon so ein bisschen anders. Keine Ahnung. Ist übertrieben krasse Ehre für mich, Sie zu kennen!» «Hä? Aber Sie … Sie … haben doch gar keine große Nase?»

Oh Mann, das ist ja düsterer, als ich angenommen habe. «Und was lernst du daraus?» «Wallah, nicht alle Juden haben große Nasen?» Strike! Ziel erreicht. «Richtig.» «Aber es ist doch so … Alle Juden, die ich kenne, sind reich. Ist doch? Wieso ist es so?»

Das ist tatsächlich eines der vielen Vorurteile, die ich ständig zu hören bekomme. Wie auch: «Ich gehe nicht zu McDonald’s, weil es Juden gehört.» Oder: «Coca-Cola gehört doch Juden? Wenn man die Schrift von rechts nach links liest und ein paar Schnörkel wegmacht, dann steht da auf Arabisch, es gibt keinen Allah.» Oder: «Gestern war doch eine Demo in Berlin. Ich habe gehört, da haben Juden Palästinenser mit Vogelkot beworfen.»

namen «Hä? Wie viele Juden kennst du denn? Ich kenne nur Frau Feynberg!» «Also, ich bin nicht reich. Dann kann deine These schon mal nicht stimmen.» «Und waren Sie schon mal in Israel?» «Ja, sogar ziemlich oft. Und nur zur Info. Nicht alle Juden sind Israelis, und nicht alle Israelis sind Juden!» «Ja, ja?» Völlige Überforderung. «Ja!» «Und wie isses da?» «Schön und sehr, sehr heiß!» «Hmmm … ok …»

Fatih weiß nicht recht, was er darauf antworten soll. Zu Hause wird wohl was anderes erzählt. «Und wieso haben Sie so einen komischen Nachnamen?» «Findest du ›Feynberg‹ komisch?» «Ja, irgendwie schon …» «Der kommt aus dem Jiddischen.» «Aus dem was?» «Aus der jiddischen Sprache. Sie klingt so ähnlich wie Deutsch. Das war die Sprache, die die Juden in Osteuropa gesprochen haben. Wie du weißt, komme ich ja aus der Ecke.» «Krass … Ich dachte, Sie kommen aus Russland?» «Russland liegt in Osteuropa.» «Ah so …» «Und woher kommt dein Name?» «Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?» «Frag deine Mutter, das ist doch interessant und gehört zu deiner persönlichen Geschichte. Hausaufgabe bis morgen.» Und schon bereut Fatih, dass er die Unterhaltung mit mir überhaupt angefangen hat.

helal Solche Gespräche sind wichtig, da lernt man oft mehr als im normalen Unterricht. Jetzt müssen wir aber dennoch den Wandertag für die nächste Woche planen. «Jaaa, Ausflug!» Ich lächele die Schüler an. «Oh nee, Museum?» «Ja, genau, wir gehen ins Jüdische Museum. Ein Jahr lang Weltreligion im Ethikunterricht zu behandeln, reicht nicht. Ihr müsst doch auch was sehen!» «Wenn es sein muss … Aber dann müssen wir auch Moschee gehen. Gleiche Rechte.»

Einen Moscheebesuch muss ich unbedingt ins Programm einbauen. Viele Schüler leben die Traditionen, wissen aber nicht immer, woher diese stammen und aus welchem Grund man sie befolgt. «Warum dürft ihr kein Haribo essen?» «Ist nicht helal.» «Wann ist denn ein Nahrungsmittel helal?» «Ja, keine Ahnung. Helal und nicht helal halt.»

Viele befolgen vieles. Erklären warum, kann kaum einer. Christen wissen ja auch oft nicht, warum man Ostern feiert, und Juden nicht, warum Jungen ausgerechnet am achten Tag beschnitten werden. So etwas nicht zu wissen, ist ja nicht schlimm. Hauptsache ist doch, dass man ein bisschen Interesse daran hat. Gerade dann, wenn man nach diesen Traditionen lebt. «Frau Feynberg, können wir koschere Gummibärchen und helal Gummibärchen im Unterricht essen und Geschmack vergleichen?» «Klar, warum nicht.»

beschimpfung Nachdem ich also ein ganzes Jahr lang Christentum, Islam und Judentum in Ethik durchgenommen, die Kinder von ihren Traditionen und Erfahrungen und ich von meinen erzählt habe, fange ich eines Tages einen Zettel im Unterricht ab, der zwischen zwei Schülern hin und her gereicht wird. Sie beleidigen einander und scheinen sich einen Wer-kennt-mehr-Schimpfwörter-Wettbewerb zu liefern. Ich entfalte das Blatt und sehe mit Großbuchstaben «DU JUDE». Na super, da ist ja viel hängengeblieben. «Jude» wird leider immer mehr zum gängigen Schimpfwort im Klassenzimmer. Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn ich es höre. Das ist dann so wie in den Filmen über den Holocaust, in denen SS-Männer brüllen: «Du Jude, auf die Knie!»

«Frau Feynberg, regen Sie sich nicht auf. Ich meine nicht Sie. Das ist doch gar nicht böse gemeint, das sagt man eben so!»

Ja, das sagt man eben so. Weil man keine Ahnung hat, was das Judentum ausmacht, Juden mit der Politik Israels gleichstellt und noch nie vorher einen Juden gesehen hat. Hier, so sieht also eine Person, die jüdisch ist, aus. Genauso wie ihr alle. Mit Ohren, Händen, Füßen – ein Mensch eben.

Ich bin echt sauer, was muss man denn noch alles machen, damit sie die blöden Beleidigungen lassen? («Schwuchtel» und «Zigeuner» gehen in dieselbe Richtung und machen mich genauso wütend!) Ich weiß es nicht, ich weiß nicht mal, ob man diese aggressiven Äußerungen jemals ganz rausbekommt. Was tun?

Viele Möglichkeiten habe ich nicht. Eigentlich bleibt mir nur zu reden. Also halte ich mal wieder einen Vortrag. Darüber, wie enttäuscht ich bin. Warum muss man eine Religion als Beleidigung benutzen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn! Und weil ich wirklich so frustriert und auch irgendwie müde von dieser ständigen Erziehung bin, gehe ich raus und knalle mit der Tür. Sofort laufen Umut und Tuncer mir nach.

entschuldigung «Frau Feynberg, Frau Feynberg!» «Was?» «Wir waren es!» «Sehr schön Jungs, habt ihr super gemacht!» Ich bin immer noch sauer, muss mir aber eingestehen, dass es eine starke Leistung ist, ein Vergehen zuzugeben.

«Es tut uns voll leid. Wir wollten Sie nicht beleidigen. Das sagt man halt so, und wir haben nicht nachgedacht.» Immer diese Ausrede: «Das sagt man halt so, und wir haben nicht nachgedacht.» Na dann …

«Frau Feynberg, Sie haben doch bald so ein Feiertag?» «Ja, Chanukka.» «Ist es so was wie Weihnachten?» «Überhaupt nicht, das kann ich euch ja ein anderes Mal erzählen, wenn es euch interessiert!» «Auf jeden Fall wollten wir Ihnen mal Herzlichen Glückwunsch und so sagen! Herzlichen Glückwunsch zu Chanukka!»

Aus: Lea Feynberg: «Ich werd sowieso Rapper. Erfahrungen einer gut gelaunten Lehrerin». Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 285 S., 8,99 €

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