Allen Ginsberg

König der Beatniks

Allen Ginsberg 1994 in Venedig Foto: imago/Leemage

Schon sein frühes Werk löste einen Skandal aus: Wegen angeblicher Obszönität wurde das 1956 erschienene Gedicht Howl (dt. Geheul) zwischenzeitlich verboten, Verleger Lawrence Ferlinghetti angeklagt. Der junge Dichter Allen Ginsberg (1926-1997) hatte der Verzweiflung über den Zustand Amerikas in der Eisenhower-Ära eine Stimme gegeben und eine verstörende Bilanz seiner Generation abgeliefert: »Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt.« Vor 25 Jahren, am 5. April 1997, starb der Autor und Aktivist Ginsberg in New York.

Lyrik »Ich hatte nie eine Poesie gelesen, die so intensiv war«, erklärte der Schriftsteller Norman Mailer. »Ich wusste, das würde das Bewusstsein der Zeit revolutionieren.« In seinem Nachruf würdigte das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«: Der Beatnik-Poet Ginsberg habe die Lyrik Amerikas vom akademischen Muff befreit.

»Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt.«

Allen Ginsberg

Das »Geheul« sei eine »Bejahung individueller Erfahrung von Gott, Sex, Drogen, Absurdität«, schrieb Ginsberg über das Werk, das ihn berühmt machte. Das Gedicht gehört neben Jack Kerouacs On the Road (1957) und William S. Burroughs Naked Lunch (1959) zu den bekanntesten Werken der »Beat-Generation«. Als deren Geburtsstunde gilt die Begegnung des linksliberalen Juden Ginsberg mit Kerouac und Burroughs im Jahr 1944 an der Columbia-Universität in New York.

»Beat Generation« nannten sie sich in Anlehnung an die »Lost Generation« nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei stand »Beat« gleichzeitig für geschlagen und geknechtet wie auch für den Begriff »beatitude«, was soviel wie »Glückseligkeit« bedeutet. »Beat« sollte aber auch den entfesselten Rhythmus einer neuen Art von Literatur beschreiben: lebendig, unvermittelt und improvisiert wie der Bebop-Jazz eines Charlie Parker, so erklärte es Kerouac einmal.

Planet Unter dem Schatten der Atombombe sei der ganze Planet bedroht gewesen, beschrieb Ginsberg die Stimmung jener Zeit. »Plötzlich erkannte man: Warum sollen wir uns von ein paar Idioten einschüchtern lassen?« In der Ära des Kalten Krieges thematisierten die jungen Literaten alles, was Anstoß erregen musste: Rebellion, Gewalt, Sex und Drogen.

Ziel sei es, das Selbst und ein Publikum von einem falschen und sich selbst verleugnenden Bild zu befreien, postulierte Ginsberg. Denn dieses führe dazu, »dass wir uns wie ein stinkender Haufen Scheiße vorkommen und nicht wie Engel, die wir in unserem tiefsten Inneren sind«.

Durch seine offen gelebte Homosexualität und sein gesellschaftliches Engagement sei Ginsberg »immer ein Verteidiger der Unterdrückten, der ins Abseits Gedrängten, der Angefeindeten gewesen«, erklärt der deutsche Verleger und Ginsberg-Experte Michael Kellner. Der Autor habe selbst jahrzehntelang im Fokus von Justiz und anderen staatlichen Behörden gestanden.

Für Ginsbergs »erstaunliche Toleranz gegenüber Wahnsinn und Abweichungen von der Norm« vermutet Autor Hans-Christian Kirsch (On the Road - Die Beatpoeten Allen Ginsberg, Neal Cassady, William S. Burroughs, Jack Kerouac) noch eine weitere wichtige Quelle: Ginsbergs Mutter. Sie litt unter einer zunehmenden paranoiden Persönlichkeitsstörung und verbrachte einen großen Teil ihres Lebens in geschlossenen Anstalten. Nach ihrem Tod schrieb Ginsberg für sie die Totenklage »Kaddisch«.

Buddhist Ginsberg wurde am 3. Juni 1926 in Paterson/New Jersey als Sohn einer Kommunistin und eines sozialistischen Lehrers geboren. Beide Eltern stammten von in die USA eingewanderten Juden ab. Auch wenn Ginsberg später Buddhist wurde, sind in seinen Texten viele Verweise auf jüdische Traditionen zu finden.

»Plötzlich erkannte man: Warum sollen wir uns von ein paar Idioten einschüchtern lassen?«

Allen Ginsberg

In späteren Jahren zog es ihn auf der Suche nach spiritueller Erleuchtung zu mystischen Lehrern nach Israel und Indien, an den Himalaya und nach Kambodscha. Zurück in den USA lehrte er Hippies und Studenten den Weg zur inneren Erleuchtung durch Meditation und richtige Atemtechnik. In den 70er Jahren schloss er sich Bob Dylans Tournee »Rolling Thunder Revue« an.

Der frühere Rebell und Bürgerschreck Ginsberg wurde später mit zahlreichen akademischen Auszeichnungen und Lehraufträgen an mehreren Universitäten überhäuft. Die Stadt Boulder im US-Bundesstaat Colorado rief sogar einen »Allen Ginsberg-Tag« aus. Der Dichter beeinflusste auch die Pop- und Rockmusik, arbeitete mit Bob Dylan und Paul McCartney zusammen. Auf dem Album »Combat Rock« (1982) der Punkrockband »The «Clash» ist Ginsberg als Gaststimme zu hören. Er starb im Alter von 70 Jahren an den Folgen einer Hepatitis.

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025

Gespräch

Warum Uschi Glas bei Antisemitismus nicht schweigen will

Uschi Glas spricht mit Charlotte Knobloch über Schweigen und Verantwortung in Zeiten eines wachsenden Antisemitismus. Und entdeckt ein unbekanntes Kapitel in ihrer Familiengeschichte

 10.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Friede, Freude, Eierkuchen oder Challot, koschere Croissants und Rugelach

von Margalit Edelstein  09.11.2025

Geschichte

Seismograf jüdischer Lebenswelten

Das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig feiert den 30. Jahrestag seiner Gründung

von Ralf Balke  09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

Theater

Metaebene in Feldafing

Ein Stück von Lena Gorelik eröffnet das Programm »Wohin jetzt? – Jüdisches (Über)leben nach 1945« in den Münchner Kammerspielen

von Katrin Diehl  09.11.2025