Eine Studie von Forschern der Ben-Gurion-Universität des Negev (BGU), der T.H. Chan School of Public Health der Harvard-Universität und des Universitätsklinikums Leipzig stellt jahrzehntelange gängige Vorstellungen über den Erfolg von Diäten und Änderungen des Lebensstils auf den Kopf. Zu lange galt Gewichtsverlust als das ultimative Ziel, meinen die Verfasser und wollen wissen: »Was passiert, wenn Menschen sich an den Plan halten, gesündere Gewohnheiten annehmen und trotzdem nicht abnehmen?«
Sogenannte gewichtsresistente Personen, oft ausgegrenzt, als Versager oder nicht willensstark genug abgestempelt, stehen im Fokus der gemeinsamen Untersuchung. Die Botschaft ist eindeutig, wie die Wissenschaftler betonen: Der Körper der Betroffenen könnte sich trotz der »gescheiterten Diät« entscheidend und auch messbar verändern.
Die im »European Journal of Preventive Cardiology« veröffentlichte Studie präsentiert eine gepoolte Analyse der Daten von 761 Menschen aus drei wegweisenden randomisierten kontrollierten Langzeitstudien. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden über 18 bis 24 Monate beobachtet, um zu untersuchen, wie unterschiedliche Körper auf strukturierte Änderungen des Lebensstils reagieren.
»Es geht nicht nur um Willenskraft oder Disziplin – es geht um Biologie.«
Iris Shai
Während ein Drittel der Teilnehmer einen klinisch signifikanten Gewichtsverlust (definiert als Verlust von mehr als fünf Prozent des Ausgangsgewichts) erzielte, lag die Gewichtsreduzierung bei einem weiteren Drittel zwischen null und fünf Prozent. Bemerkenswerterweise verloren 28 Prozent der Teilnehmer, trotz hoher Compliance (Adhärenz), überhaupt nicht an Gewicht oder nahmen sogar etwas zu. Dennoch zeigten diese sogenannten resistenten Personen deutliche Verbesserungen bei wichtigen Gesundheitsmarkern.
Weniger Bauch- und Leberfett
Im Vergleich zu ihren Altersgenossen waren die Personen mit Gewichtsverlustresistenz etwas älter und häufiger weiblich. Obwohl sie keine messbare Gewichtsveränderung aufwiesen, zeigten sie signifikante innere Verbesserungen: höheres HDL-Cholesterin, das »gute« Cholesterin, niedrigere Leptinwerte, weniger viszerales Fett (Fettgewebe in der freien Bauchhöhle) und weniger Leberfett, gemessen mittels Magnetresonanztomografie (MRT).
Dies sind tiefgreifende Stoffwechselveränderungen mit echten Folgen, was Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels betrifft.
»Das verändert unsere Definition von klinischem Erfolg«, sagt Anat Yaskolka Meir, Autorin der Studie, Ernährungsberaterin und Postdoktorandin in Harvard. »Wir sind darauf konditioniert, Gewichtsverlust mit Gesundheit gleichzusetzen, doch unsere Ergebnisse zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Selbst Menschen, die nicht abnehmen, können ihren Stoffwechsel verbessern und ihr langfristiges Krankheitsrisiko senken.« Das sei eine »Botschaft der Hoffnung, nicht des Scheiterns«.
Das Forschungsteam teilte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in drei Gruppen ein: Personen mit erfolgreichem Gewichtsverlust (mehr als fünf Prozent Abnahme), Personen mit moderatem Gewichtsverlust (null bis fünf Prozent) und Personen mit resistentem Gewichtsverlust (weniger als fünf bis null Prozent). Selbst Menschen mit moderaten Ergebnissen zeigten deutliche Verbesserungen bei Gesundheitsindikatoren wie beispielsweise Taillenumfang, Triglyceriden, Insulinresistenz, Blutdruck und Leberenzymen. Die neuartige Erkenntnis eröffnet nach Ansicht der Autoren zukünftig Möglichkeiten für eine personalisierte Ernährung und individuellere Lebensstilinterventionen.
»Diese Bevölkerungsgruppe wird oft ignoriert, missverstanden oder abgetan«, meint auch Gal Tsaban, Mitautorin, Kardiologin und klinische Forscherin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der BGU und der Mayo Clinic in den USA. »Unsere Studie zeigt jedoch, dass Lebensstiländerungen auch dann funktionieren, wenn sich das Gewicht nicht verändert. Der Körper reagiert tiefer, subtiler und zutiefst bedeutsam.«
Drei streng durchgeführte, arbeitsplatzbasierte klinische Studien in Israel
Was diese Studie besonders aussagekräftig macht, ist ihr einzigartiges Design, das drei streng durchgeführte, arbeitsplatzbasierte klinische Studien in Israel mit hohen Adhärenzraten, also der Einhaltung der gemeinsam von Patient und Behandler gesetzten Therapieziele im Rahmen des Behandlungsprozesses, und umfassender Stoffwechselprofilierung zusammenfasst.
Die Teilnehmer wurden zufällig Veränderungen ihrer Ernährungsgewohnheiten zugeteilt, darunter fettarme, kohlehydratarme, mediterrane und »grün-mediterrane« Diäten. Doch über alle Ansätze hinweg sei das Muster von Gewichtsverlustresistenz und Stoffwechselzunahme konsistent geblieben.
Die Personen, die weniger abnahmen, waren etwas älter und häufiger weiblich.
»Manche Menschen reagieren biologisch bedingt unterschiedlich auf dieselbe Nahrung«, weiß Iris Shai, Leiterin der Studien, Professorin für Ernährungswissenschaften an der BGU und außerordentliche Professorin an der Harvard Chan School. »Es geht nicht nur um Willenskraft oder Disziplin – es geht um Biologie. Jetzt endlich nähern wir uns diesem Verständnis.«
Im Zuge der Weiterentwicklung der Prävention von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels biete diese Forschung eine umfassendere und bestärkende Perspektive auf ein gesundes Leben, meint sie. »Nicht jeder Fortschritt spiegelt sich auf der Waage wider. Aber jede gesunde Veränderung zählt. Und das ist mehr als eine wissenschaftliche Erkenntnis«, so Shai.
Es sei »eine Botschaft für die öffentliche Gesundheit«. Jeder, der sich gesündere Gewohnheiten zu eigen mache, habe das Recht zu wissen, dass sich sein Körper wahrscheinlich positiv verändere, »auch wenn das Spiegelbild es nicht unbedingt zeigt«.