Alina Gromova

»Jedes Museum ist politisch«

Wurde 1980 im ukrainischen Dnipro geboren: Alina Gromova ist promovierte Stadtethnologin und Museumsmanagerin. Foto: Lydia Bergida

Frau Gromova, von München spricht man gern als »Millionendorf« oder »Weltstadt mit Herz«. Als neue Direktorin des Jüdischen Museums München sind Sie von Berlin an die Isar gezogen. Können Sie diese Bezeichnungen nachvollziehen?
Ja, sehr. Seit ich dort bin – und ich hatte auch noch die Gelegenheit, das Oktoberfest in München kennenzulernen –, verstehe ich vollkommen, warum man diese Stadt so nennt. Ich brauche immer etwa zehn Minuten zu Fuß, um irgendwohin zu kommen. Auch fällt mir auf, dass man hier sehr eng miteinander arbeitet. Ich habe schon so viele Kolleginnen und Kollegen aus den anderen städtischen Museen getroffen. Viele sind mit sehr großer Herzlichkeit auf mich zugekommen, weshalb man sofort Lust hat, das gesamte Netzwerk kennenzulernen und ein Teil davon zu werden.

Wenn Sie auf Ihre vielen Jahre Erfahrungen in jüdischer Museumsarbeit zurückblicken, gibt es da eine, die Ihnen für Ihre neue Tätigkeit besonders wertvoll erscheint?
Natürlich sind alle Erfahrungen wichtig und nützlich. Aber die, die ich während meiner langjährigen Arbeit an der W. Michael-Blumenthal-Akademie des Jüdischen Museums Berlin gemacht habe, sind mir gerade besonders gegenwärtig. Ich war dort für die Themen Diversität, Migration und das Jüdisch-Islamische Forum zuständig. Wir haben uns zum Beispiel eingehend damit beschäftigt, wie sich Museen für verschiedene Communitys, für die diese Orte bisher eher fremd waren, öffnen lassen. Es ist ja einfach so: Die Menschen, die kommen, sieht man, und diejenigen, die nicht kommen, sieht man nicht. Über sie weiß man zu wenig, und das macht die Sache kompliziert. Ich habe gelernt, meinen Blick zu schärfen und wie wichtig es ist, zum Beispiel bei der Themensuche, bei Überlegungen zum Konzept, Fragen zu berücksichtigen, die für die ganze Gesellschaft wie auch für marginalisierte Gruppen, relevant sind.

Was bedeutet ein solcher demokratischer Ansatz konkret in der Museumsarbeit, und das dazu noch in einer politisch stark aufgeladenen Zeit, in der selbst ein jüdisches Museum ein Politikum sein kann?
Ich sehe Politik als ein Feld, das gesellschaftliches Zusammenleben regelt. Damit ist jedes Museum, also auch jedes jüdische Museum politisch, weil es als solches Teil von gesamtgesellschaftlichen Strukturen ist. Und ja, in der heutigen Gesellschaft gibt es starke Polarisierungen, gibt es den großen Wunsch nach eindeutigen Positionen. Und genau hier sehe ich es als die Aufgabe unserer Museen an, eine Diversität an Perspektiven mit einzubringen. Ein Museum – und selbstverständlich auch ein jüdisches Museum – ist ein Ort, der offen sein muss. Es ist ein Ort, an dem man sich begegnet, um sich über Themen auch kontrovers austauschen zu können.

»Vielleicht gibt es ja tatsächlich so etwas wie einen weiblichen Führungsstil.«

Es fällt auf, dass viele jüdische Museen, ob in Berlin, Frankfurt, Augsburg oder Wien, derzeit von Frauen geleitet werden. Gibt es dafür eine Erklärung?
Die Zeit ist einfach reif dafür! Und auch das ist ein Zeichen dafür, dass jüdische Museen ein selbstverständlicher Teil der Museumslandschaft, ein Teil von gesellschaftlicher Entwicklung sind. Mich freut das, und ich wünsche mir viel Zusammenarbeit unter den Frauen. Vielleicht gibt es ja tatsächlich so etwas wie einen weiblichen Führungsstil. Nach meiner Erfahrung bemühen sich Frauen beim Verhandeln immer sehr darum, einen Konsens zu finden, und da lassen sie auch nicht so schnell locker.

Sie sind eine Frau, die in der Ukraine geboren wurde …
Ich bin eine Frau, ich bin Ukrainerin, ich lebe in Deutschland, gerade schicke ich mich an, Münchnerin zu werden, ich habe eine jüdische Familienbiografie. Jede hat ja viele Identitäten, trägt viel Unterschiedliches in sich. Diversität ist für mich – auch in der Museumsarbeit – eine wichtige Sache. Ich finde Themen interessant, die Reibungen und Widersprüche mit sich bringen, die auch Unausgesprochenes in sich tragen – für solche Themen muss ein Museum ein Ort sein. Materialität – und Depots sind ja voll von Sammlungen materieller Kultur – ist sehr gut dafür geeignet, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.

»Ich finde Themen interessant, die Reibungen und Widersprüche mit sich bringen, die auch Unausgesprochenes in sich tragen.«

Hatten Sie schon Gelegenheit, die jüdische Community in München kennenzulernen?
So viel kann ich jedenfalls bereits sagen: Die jüdische Community in München ist, wie in den anderen Großstädten auch, in Hinblick auf Religion, Kultur, Geschlecht, Alter, soziale Stellung sehr divers. Durch die Nähe des Museums zur Kultusgemeinde habe ich natürlich viel Gelegenheit, mit den Menschen dort ins Gespräch zu kommen, und besonders freut es mich, wenn ich dabei wieder einmal mein Hebräisch praktizieren kann.

Als Teenager haben Sie ein Jahr in Israel verbracht …
Das war wunderbar. Die Ukraine war gerade unabhängig geworden, und ich konnte an einem Programm der Jewish Agency teilnehmen. Für mich war das eine Möglichkeit, »rauszukommen«. Mein Traum ist dann aber leider abrupt unterbrochen worden, als meine Eltern beschlossen, aus der Ukraine nach Deutschland auszuwandern. Ihnen war das aber nur erlaubt, wenn sie es als ganze Familie mit allen minderjährigen Kindern taten. Ich kam also mit nach Deutschland. Aber irgendwann machte mich auch dieses Land neugierig, ich tauchte ein, fand meinen Platz, und jetzt bin ich hier.

Vor Ihnen leitete fast zwei Jahrzehnte lang Bernhard Purim das Jüdische Museum München. Wie hat er es geprägt?
Es stand immer für Themen, mit denen man nicht gerechnet hat. Es war das Museum, das dieses klassische Muster, das unter den jüdischen Museen lange vorherrschte, nämlich Themen zu wählen, die ausschließlich Erinnerungsarbeit betrafen, aufgebrochen hat. Es stand ferner für Transnationalität und Diversität, eine Richtung, die ich auf jeden Fall weiter ausbauen möchte.

Das Gespräch führte Katrin Diehl.

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