Film

Inszenatorisches Understatement

Helene (Mala Emde) und Karl (Thomas Prenn) sind verliebt. Foto: Wild Bunch Germany, Lucky Bird Pictures / Nick von Nostitz

Regisseurin Barbara Albert wagt sich mit Die Mittagsfrau an die anspruchsvolle Aufgabe, den gleichnamigen Bestseller von Julia Franck zu verfilmen – und es gelingt. Zeitweilig von der Sperrigkeit historisierender Sprache gehemmt, lösen sich die Bilder bald aus dem Korsett des Literarischen und bringen eine Emanzipationsgeschichte voller Widersprüche auf die Leinwand: das Versteckspiel der deutsch-jüdischen Protagonistin Helene.

Auf gleich drei Zeitebenen durchschreitet Die Mittagsfrau die wohl prägendsten Epochen der jüngsten Geschichte Deutschlands. Ausgeblichene Erinnerungsbilder führen uns in die Kindheit von Helene und ihrer Schwester Martha. Es sind die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg in Bautzen, der Vater ist gefallen, die Mutter verliert darüber zunehmend den Verstand. Unterbrochen wird dieser Strang durch Szenen der Nachkriegszeit. Helene, von Alter und Erfahrung gezeichnet, besucht ein Gehöft. Noch ist unklar, wer der junge Mann ist, der sich zitternd in einer Scheune versteckt und sie beobachtet.

zwangsheirat Hineingeworfen werden wir ins Berlin der rauschenden 1920er-Jahre. Zusammen mit der Protagonistin erleben wir die erste und einzige große Liebe zum jüdischen Lyriker Karl, den Kokain- und Lebenshunger von Schwester und großbürgerlicher Tante, Abtreibung und Vertreibung, Verfolgung, Flucht, Haft und das Untertauchen im Vexierspiel einer falschen, nichtjüdischen Identität – eingefädelt durch eine Zwangsheirat mit dem Luftwaffe-Piloten Wilhelm.

Das kurze, gute Leben bricht zusammen, die Terrorherrschaft der Nazis beginnt. Dazwischen: die Emanzipation von Helene als jüdische Frau in Deutschland – erzählt als Geschichte des Scheiterns. Zu diesem Scheitern gehört auch die Beziehung zu ihrem Sohn Peter, Zeugnis der Gewalt von Wilhelm an Helene, vom Mann an der Frau, vom Nazi an der Jüdin.

Historische Gräuel gibt es hier nicht in vorgeprägten Zeitbildern, sondern als eindringende Flut, die das fragile Konstrukt einer beginnenden Emanzipation mit Widersprüchen umspült. Dieses Understatement ist selten im deutschen Aufarbeitungskino und macht präzise klar: Die persönlichen Widersprüche sind auch die historischen – und vice versa.

Zeitweilig gerinnt das inszenatorische Understatement dann aber doch zum biederen Drang, Geschichte in historisch-authentischen Sprechakten zu verpacken. Das kommt oft sperrig daher oder lustwandelt in blindem Pathos. Dass der bildstarke Film das nicht nötig hätte, darüber urteilt er unfreiwillig an einer Stelle selbst: »Du versteckst dich hinter Worten.«

Die Zurückhaltung des Wesentlichen und das inszenatorische Spiel damit sind nicht nur negatives Prinzip, sondern auch treibendes Motiv von Die Mittagsfrau. Das gilt insbesondere für die Darstellung der jüdischen Identität von Helene. An ihrer Perspektive ausgerichtet, erzählt der Film das Jüdische zunächst beiläufig.

MENORA Da ist die Menora im Esszimmer der Mutter, Zitate hebräischer Lyriker im Denkerstübchen oder die familiären Konflikte des Berliner Großbürgertums, ob nun Schabbat gefeiert wird oder nicht. Als selbstverständliches Dekor von Helenes Leben versteckt sich das Jüdische in seiner Alltäglichkeit. Aus diesem Versteck geholt und in ein anderes gezerrt wird es erst, als es den Nichtjuden zum Grund der Verfolgung wird.

Fortan steht das Jüdische im Zentrum von Helenes Leben und damit auch des Films: als Stereotyp, als Abwesenheit und als schmerzlicher Verlust dessen, was einmal selbstverständlich war. Im Versuch, dieses Gefühl des Verlusts zu verdrängen, wird nicht nur Helene, sondern werden auch die Zuschauer immer wieder schmerzlich an die Gegenwart des Verdrängten erinnert.

Der Film läuft ab dem 28. September im Kino.

Andrea Kiewel

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