Dessau/Osnabrück

Ins Exil und an den Broadway

Kurt Weill (1900 - 1950) Foto: picture alliance / ullstein bild - ullstein bild

Dessau/Osnabrück

Ins Exil und an den Broadway

Kurt Weill hat so viel mehr zu bieten als die »Dreigroschenoper«. Sein Geburtsland brauchte indes lange, um ihn auch als US-Amerikaner zu entdecken

von Roland Juchem  28.02.2025 10:01 Uhr

In Deutschland wurde der vor 125 Jahren geborene Kurt Weill lange vor allem mit der »Dreigroschenoper« und Bertolt Brecht (1898-1956) assoziiert, in dessen Schatten er manchmal schon zu Lebzeiten geriet. Einen Journalisten wies Weill einmal zurück: »Das klingt ja fast, als glaubten Sie, Brecht habe meine Musik komponiert.« Die Nazis schmähten und verfolgten beide: Brecht als Kommunisten, Weill als Juden.

Curt Julian Weill, so der Geburtseintrag zum 2. März 1900, entstammte einer der ältesten jüdischen Familien Deutschlands. Bis ins 14. Jahrhundert lassen sich die Weills zurückverfolgen, unter ihnen viele Rabbiner und Kantoren. Der erste überlieferte, Juda, stammte aus Weil der Stadt bei Stuttgart - daher der Familienname.

Turbulente Ehe

Kurt Weills Vater Albert war Kantor der Synagoge in Dessau. Vom Organisten der Gemeinde erhielt der Junge den ersten Klavierunterricht. Nach einem Musik-Schnupperstudium in Berlin wirkt er kurze Zeit im sauerländischen Lüdenscheid als Kapellmeister, kehrt aber bald nach Berlin zurück, um bei Ferruccio Busoni (1866-1924) zu studieren. Erste Kompositionen erregen Aufsehen in der Musikwelt. 1927 beginnt Weill die Zusammenarbeit mit Brecht. 1928 entsteht die Dreigroschenoper und verschafft beiden ein einträgliches Auskommen.

Die 1926 geschlossene Ehe mit der Schauspielerin und Sängerin Lotte Lenya (1898-1981) wird turbulent. Beide können weder mit- noch ohneeinander. 1933 lassen sie sich scheiden; Weill ist inzwischen vor den Nazis nach Paris geflohen. Als beide im September 1935 aus Frankreich kommend in die USA einreisen, geben sie sich als Ehepaar aus. Erst Anfang 1937 heiraten sie ein zweites Mal. In seinem Testament wird Weill seiner Ehefrau seinen gesamten Besitz wie auch die Rechte an seiner Musik vermachen.

Nicht mehr als Deutscher betrachtet

Besser als andere deutsche Emigranten kann Weill sich auf das amerikanische Theaterleben mit weniger Subventionen und stärkerem wirtschaftlichen Druck einstellen. Nach nur wenigen Jahren wird er am Broadway erfolgreich. 1941 können Lenya und er sich eine Autostunde von New York City entfernt ein Haus kaufen. Zwei Jahre später erhalten sie die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Als das »Life«-Magazin Weill 1947 als »German composer« bezeichnet, schreibt er der Redaktion: »Obgleich ich in Deutschland geboren bin, bezeichne ich mich nicht als ›deutschen Komponisten‹. Die Nazis haben mich eindeutig nicht als solchen bezeichnet, und ich verließ ihr Land 1933 […] Ich bin amerikanischer Staatsbürger, während meiner zwölf Jahre in diesem Land habe ich ausschließlich für die amerikanische Bühne komponiert.«

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Unterprivilegierte Menschen im Blick

Dabei wurde er seinem Anliegen, gesellschaftspolitisch relevant zu sein, nicht untreu. »Beim Rückblick auf viele meiner Kompositionen finde ich, dass dabei wohl eine sehr starke Reaktion stattgefunden hat auf das Wahrnehmen des Leidens der unterprivilegierten Menschen; der Unterdrückten, der Verfolgten. […] Wenn die Musik menschliches Leiden ausdrücken soll, habe ich reinen Weill geschrieben, ob nun zum Guten oder nicht.«

So stellt der »Weg der Verheißung« (The Eternal Road) die Geschichte des jüdischen Volkes dar in einer Mischung aus Historienspiel, Liturgie und Oper. Im Musical Play »Lady in the Dark« mit Songtexten von Ira Gershwin (1896-1983) geht es um die Psychoanalyse. Es folgen die »amerikanische Oper« »Street Scene« mit Texten von Langston Hughes (1902-1967) und einem Libretto von Elmer Rice (1892-1967). Die Tragödie »Lost in the Stars« mit Texten von Weills Nachbar und Freund Maxwell Anderson (1888-1959) thematisiert die südafrikanische Apartheid und hält zugleich den USA einen Spiegel vor.

Wiederentdeckung auf Umwegen

Weills Bekanntheit im Land seiner Herkunft beschränkt sich neben der Oper »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« lange Zeit auf die »Dreigroschenoper«. Pop-Ikonen wie die Doors und David Bowie lassen einzelne Songs erstrahlen, nachdem Jazz-Größen wie Miles Davis und Ella Fitzgerald ihnen vorangegangen waren. Erst seit Mitte der 1990er Jahre werden auch an deutschen Theatern Werke aus Weills US-Zeit erfolgreich aufgeführt.

Zuletzt rückte Joana Mallwitz Weills Instrumentalmusik in den Mittelpunkt ihrer jüngsten Einspielung: Als erste Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin wolle sie diese einem Komponisten zu widmen, dessen Name ein Synonym für die Stadt Berlin sei. Ihr »Kurt Weill Album« stellt die beiden Sinfonien ins Rampenlicht sowie »Die sieben Todsünden«.

Glauben an die Menschheit bewahrt

Am 3. April 1950 stirbt Kurt Weill nach einem Herzinfarkt in New York; zwei Tage später wird er in Haverstraw nördlich von New York beigesetzt. Für die Grabinschrift wählte Maxwell Anderson ein Zitat aus »Lost in the Stars«. Der Song »A Bird of Passage« war für ein Requiem konzipiert für jene, »die sterben ohne einen Glauben - außer den an die Menschheit«.

Langston Hughes schrieb nach Weills Tod: »Niemand gehört in Wirklichkeit zu einem einzigen Land. Am allerwenigsten (und doch auch am allermeisten …) der wahre Künstler. Darum kann Deutschland Weill als Deutschen, Frankreich ihn als Franzosen, Amerika ihn als Amerikaner und ich ihn als Schwarzen ausgeben.«

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