Bildende Kunst

»Ich habe ihm seine Existenz zurückgegeben«

Jeroen Krabbé war der paranoide Schriftsteller in Paul Verhoevens Krimi Der vierte Mann (1983). Er war Gangsterboss in Gnadenlos (1986), KGB-General im Bond-Streifen Der Hauch des Todes (1987) oder in der Hauptrolle des Albert Schweitzer in Ein Leben für Afrika (2009) zu sehen. Berühmt ist auch Krabbés Regiedebüt beim mehrfach ausgezeichneten Film Kalmans Geheimnis (1998), eine im jüdisch-orthodoxen Milieu angesiedelte Handlung über die schwierige Beziehung zwischen erster und zweiter Opfergeneration nach dem Krieg. Als bildender Künstler hingegen ist der niederländische Schauspieler und Regisseur in Deutschland kaum bekannt.

ausstellung Das könnte sich jetzt ändern. Im Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus ist Krabbé derzeit mit neun großformatigen Bildern vertreten, die sich einem einzigen Thema widmen: der Geschichte seines Großvaters Abraham Reiss. Dabei spannt Krabbé den Bogen von dessen Leben als wohlhabendem jüdischen Bürger Amsterdams, über die deutsche Besetzung der Niederlande bis hin zu seiner Deportation 1943 nach Sobibor, wo er 70-jährig, gleich nach seiner Ankunft, ermordet wurde.

Bisher eher als heiterer Maler unterwegs, der überwiegend farbenfrohe Landschaftsmotive von seinen Reisen aus Russland oder Indonesien mitbrachte, lässt Krabbé mit »Der Untergang des Abraham Reiss« erstmals dieses dunkle Kapitel der Geschichte in seine Malerei einfließen. Ein Anlass war seine Regiearbeit für den Film Die Entdeckung des Himmels nach dem Roman von Harry Mulisch. »Für den Film bin ich 2000 in Auschwitz gewesen. Nach zwei Tagen allein an diesem furchtbaren Ort war mir klar, dass ich etwas über meine eigene Familie machen musste«, erzählt Krabbé, »ich wusste nur noch nicht, was.«

briefe Einen weiteren, entscheidenden Anstoß lieferte das Erbe seiner Mutter, die vor zehn Jahren verstarb. Sie hinterließ ihm ein Buch, das von ihr verfasste Berichte und Erzählungen über ihren Vater enthielt, außerdem Fotos und »Hunderte von Briefen und Karten« von ihr und ihrer Schwester, geschrieben aus Westerbork, dem niederländischen Durchgangslager Richtung Osten. Es brauchte dann noch einige Jahre, um zu der Form zu gelangen, die Krabbé für die Bearbeitung für die beste hielt: eine Erzählung in Bildern.

Als dann im November 2009 in München der Prozess gegen John Demjanjuk begann, war für Krabbé die Zeit reif, mit dem Schicksal von Abraham Reiss an die Öffentlichkeit zu treten. »Plötzlich ging alles ganz schnell. In nur drei Monaten waren die Bilder gemalt«, resümiert der 67-Jährige. Durch die Beschäftigung mit seinem nie gekannten Großvater sei er diesem ganz nahe gekommen. »Ich fühlte, dass ich mit meiner Malerei dabei war, ihm seine Existenz zurückzugeben. Und das ist mir gelungen: Heute spricht man seinen Namen wieder aus.«

asche Die mit einer Mischtechnik aus Kohle, Asche und Öl gezeichneten Gemälde ziehen den Betrachter durch die Lebensgröße der Dargestellten und deren Nähe unausweichlich in ihren Bann. Ein Bild fällt wegen seiner Farbigkeit aus dem Rahmen: Es zeigt das Lager Sobibor, eine Baracke, einen rauchenden Schornstein, Birken und rote Gänse. »Diese Gänse haben Blut an ihren Federn«, sagt Jeroen Krabbé. In Sobibor habe man Gänse gehalten, die, sobald ein Transport kam, von Lager zwei in das Lager drei getrieben wurden. Dort sollten sie mit ihrem Geschnatter die Schreie aus der Gaskammer übertönen. »Grausam, aber wahr«, erzählt Krabbé. »Als ich davon erfuhr, war ich so geschockt, dass ich dieses schreckliche Detail verarbeitet habe.«

Mit der jüdischen Gemeinschaft in den Niederlanden hat Krabbé nicht viel zu tun. »Meine Mutter und auch mein Großvater waren vollkommen assimilierte Juden, die ihre jüdische Religion mit ihren Traditionen hinter sich gelassen hatten. Entsprechend wurde auch ich nicht jüdisch erzogen.« Krabbé versteht sich als Atheist. »Das heißt aber nicht«, fügt er hinzu, »dass ich mich dem Judentum nicht sehr verbunden fühle.« Das ist er, und seine Bilder beweisen es.

»Jeroen Krabbé – Der Untergang des Abraham Reiss«, im Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, bis 26. Februar 2012, Di bis Fr: 11-18 Uhr, Sa und So: 10-18 Uhr. Eintritt: 5 €. Katalog: 19,95 €

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert