Arthur Langerman ist 82 Jahre alt und in Belgien zu Hause. Als seine Eltern 1944 von den Nazis deportiert wurden, war er erst zwei Jahre alt. Er kam in ein Waisenhaus und entkam selbst der Deportation nach Auschwitz nur, weil der Krieg vorher endete, erzählt er an diesem Maitag in der deutschen Hauptstadt, 80 Jahre nach Kriegsende.
Langerman ist zur Eröffnung der Ausstellung »#FakeImages - Gefahren von Stereotypen erkennen« angereist, die ab sofort in der TU Berlin zu sehen ist. Die Schau zeigt antisemitische Bilder, Postkarten, Zeitungsausschnitte und Kinderbuchillustrationen aus der rund 10.000 Objekte umfassenden Sammlung des Holocaustüberlebenden. Die Wanderausstellung des belgischen Museum Kazerne Dossin war bereits in der Europäischen Kommission in Brüssel und bei den Vereinten Nationen in New York zu sehen - und wird jetzt erstmals in Deutschland gezeigt.
Judenhass wieder salonfähig
Antisemitismus verbreite sich besonders seit dem 7. Oktober 2023 immer mehr, sagt Langerman. Seit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel herrscht dort und im Gazastreifen Krieg. Judenhass sei in Europa wieder salonfähig geworden, warnt der 82-Jährige. »Man schämt sich nicht mehr, ›Du Saujude‹ zu sagen.«
Er fordert mehr Aufklärung: Viele junge Menschen wüssten nur wenig oder gar nichts über den Holocaust. Im Internet würden Hassbilder und Stereotype ungefiltert und unreflektiert immer weiter verbreitet, so Langerman.
Er fing in den 1960er Jahren zu sammeln an, ging auf Flohmärkte, stöberte und wurde fündig. Viele Menschen auf solchen Märkten hätten »nicht genau gewusst, was sie verkaufen«. Durch das Internet sei die Suche deutlich einfacher geworden - und mittlerweile wüssten die Verkäufer meist auch, um was es sich handle. »Eine antisemitische Postkarte kostet schonmal 100 Euro«, sagt Langerman. Die Objekte stammen demnach aus ganz Europa, aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Tschechien und Russland.
Naturwissenschaften in die Pflicht nehmen
Die Ausstellung ist in zwei Teile gegliedert, die abwechselnd im Lichthof der Technischen Universität präsentiert werden: Der erste Teil zeigt auf beigem Hintergrund die Entwicklung antisemitischer Bilder vornehmlich seit dem 19. Jahrhundert bis 1945. Der zweite Teil - in rot gehalten - beschäftigt sich allgemein mit Stereotypisierung und bringt auch zeitgenössische Beispiele.
Die Schau sei ein Plädoyer für Vielfalt, erklärt Paul Nemitz, Vorsitzender des Kuratoriums der Arthur Langerman Stiftung. Es gehe auch darum, die naturwissenschaftlichen und technischen Studenten und Berufe an ihre Verantwortung zu erinnern. »Fragen Sie danach, wo die Gleise enden«, sagt Nemitz mit Blick auf die von Ingenieuren geplanten Bahngleise, die in Konzentrations- und Vernichtungslager führten.
Bierkrüge mit antisemitischen Zeichnungen; Spazierstöcke mit einem Knauf einer stilisierten angeblich jüdischen Nase; Kinderbuchillustrationen aus der Nazizeit, die blonde Kinder davor warnen, Süßigkeiten von einem bedrohlich gezeichneten Juden anzunehmen; Juden auf einem Geldsack sitzend: Bei diesen Stereotypen handle es sich um ein weit verbreitetes Phänomen«, sagte Uffa Jensen, wissenschaftlicher Leiter des Arthur Langermans Archivs für die Erforschung des visuellen Antisemitismus an der TU Berlin. Auch entsprechende Objekte in Wohnungen und Privathäusern seien Jahrhunderte lang alltäglich gewesen.
Kirche als »erste antisemitische Organisation«
Entsprechend hat auch die Kirche ihren Anteil am Antisemitismus, der keine Erfindung der Nazis war: »Die Kirche war die erste antisemitische Organisation«, sagt Langerman. Er erinnert an die Kreuzzüge vor rund tausend Jahren, bei der von den Kreuzrittern zahlreiche Juden ermordet wurden. Bis heute gebe es in vielen Kirchen in Europa antisemitische Darstellungen - etwa auch in der Kathedrale in Brüssel oder im Kölner Dom.
Die Ausstellung in Berlin beginnt ähnlich, mit einem italienischen Gemälde aus dem 16. Jahrhundert. Darauf ist der angebliche Ritualmord von Juden der Stadt Trient an einem Kind zu sehen. Ein Vater hatte sie 1475 beschuldigt, sein Kind getötet zu haben, um das Blut zum Backen von Matzebrot zu verwenden. Unter Folter gestand die jüdische Gemeinde der Stadt die Tat.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Kind von der katholische Kirche als Märtyrer »Simon von Trient« verehrt - der Kult wurde erst 1975 abgeschafft. »So lange hat es gedauert, zu sagen, dass diese ganze Geschichte eine Lüge ist«, mahnt Langerman. Nun hoffe er besonders auf den neuen Papst Leo XIV. - er habe einen intensiveren Austauch mit dem Judentum angekündigt.