Jubiläum

Holocaust-Forscher und Kafka-Kenner

Saul Friedländer Foto: dpa

Jubiläum

Holocaust-Forscher und Kafka-Kenner

Der Historiker Saul Friedländer wird 80 Jahre alt

von Jürgen Prause  10.10.2012 09:08 Uhr

Als Gymnasiast von 14 oder 15 Jahren las Saul Friedländer zum ersten Mal eine Kafka-Biografie. Die Leidenschaft für den großen Prager Schriftsteller und dessen rätselhaftes Werk sollte ihn nicht mehr loslassen. Nach einer langen und glänzenden wissenschaftlichen Karriere hat der Historiker und Holocaust-Überlebende nun kurz vor seinem 80. Geburtstag am 11. Oktober einen biografischen Essay über Franz Kafka (1883–1924) veröffentlicht.

Der 1932 selbst in Prag geborene Friedländer ist einer der bedeutendsten Holocaust-Forscher weltweit. Sein zweibändiges Opus magnum Das Dritte Reich und die Juden gilt als Meisterwerk der Geschichtsschreibung. Der israelische Historiker, der heute mit seiner Frau Orna Kenan in Los Angeles lebt, wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (2007) und dem Pulitzerpreis (2008).

Weg Lebensgeschichte und wissenschaftliches Werk Friedländers sind nicht zu trennen. Er verlor seine Eltern in Auschwitz und überlebte den Zweiten Weltkrieg unter falschem Namen in einem katholischen Internat in Frankreich. Sein eigener Lebensweg ist wohl der Grund dafür, dass er den Zeugnissen und Erinnerungen der jüdischen NS-Opfer in seinem Werk besonderes Gewicht einräumt.

Als der Historiker im Oktober 2007 in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennimmt, zitiert er in seiner bewegenden Dankesrede aus Briefen seiner von den Nationalsozialisten ermordeten Eltern. Geschichte ist für Friedländer keine Abstraktion. Mit seiner Geschichtsschreibung, in deren Mittelpunkt die Opfer stehen, habe er »den Ermordeten die ihnen geraubte Würde zurückgegeben«, befand die Friedenspreis-Jury.

Mit der jetzt erschienenen Studie über Franz Kafka verlässt Friedländer sein Fachgebiet. Der Dichter, der wie er selbst aus Prag stammt, fasziniert ihn seit seiner ersten Lektüre als Jugendlicher. In seinem Buch untersucht Friedländer Aspekte, die aus seiner Sicht in der ausufernden Kafka-Forschung zu wenig beachtet wurden. Er geht der »quasi obsessiven Seelenerforschung« Kafkas nach und versucht, die Ursachen seines beherrschenden Scham- und Schuldgefühls zu ergründen.

Versicherung Zur intensiven Beschäftigung Friedländers mit Kafka trug wohl auch der Umstand bei, dass er Parallelen in der Familiengeschichte des Schriftstellers und seiner eigenen entdeckte. Friedländer kam acht Jahre nach dem Tod Kafkas zur Welt. Die Welt seiner Familie war wie die Kafkas die des jüdischen Prager Bürgertums, im Elternhaus wurde Deutsch gesprochen. Wie Kafka studierte auch Friedländers Vater Jura an der Karls-Universität und arbeitete später für eine Versicherungsgesellschaft.

Während Kafka den größten Teil seines Lebens in seiner Heimatstadt verbrachte, musste Friedländer Prag bereits als Sechsjähriger verlassen, nachdem die Stadt im März 1939 von den Deutschen besetzt worden war. Kafka starb bereits 1924 – Jahrzehnte vor dem Holocaust. Seine drei Schwestern Elli, Valli und Ottla kamen während des Zweiten Weltkrieges in deutschen Konzentrationslagern ums Leben. Auch Friedländers Eltern Jan und Elli wurden – nach einem gescheiterten Fluchtversuch aus Frankreich in die Schweiz – deportiert und wahrscheinlich 1942 in Auschwitz ermordet.

Als er seinen Studenten in Los Angeles von Franz Kafka erzählt habe, habe keiner von ihnen den Namen des Schriftstellers gekannt, berichtete Saul Friedländer kürzlich in einem Interview. Im November wird Friedländer sein neues Buch bei einer Vortrags- und Lesereise in Deutschland vorstellen – ein interessiertes Publikum wird ihm hier gewiss sein.

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  19.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Wieder hat sich Regisseur Philipp Stölzl kräftig vom Bestseller-Autor Noah Gordon anregen lassen

von Peter Claus  19.12.2025

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025