Nachruf

Groucho aus Föhrenwald

TV-Kultfigur: Towje Kleiner als Koch Odessi in der Pumuckl-Serie Foto: cinetext

Schwarzer Schnauzbart, melancholischer Blick, zappelige Gestik: Das waren seine Markenzeichen. Aus dem Einerlei der deutschen Fernsehdarsteller ragte Towje Kleiner unverwechselbar heraus. Als neurotischer Schriftsteller Maximilian Glanz in Helmut Dietls TV-Kultserie Der ganz normale Wahnsinn Ende der 70er-Jahre, später als singender Taxifahrer Achmed alias Zapata in den Münchener Geschichten, ebenfalls unter der Regie von Dietl, und in den 90ern als Schiffskoch Odessi in den Pumuckl-Filmen schrieb er deutsche TV-Geschichte. In der Nacht zum Montag ist der Schauspieler überraschend gestorben. Er wurde 63 Jahre alt.

schwabing Kritiker attestierten Kleiner gelegentlich, so etwas wie ein deutscher Groucho Marx oder Woody Allen zu sein. Mit denen hatte er in der Tat einiges gemeinsam. Nicht zuletzt das Jüdischsein. 1948 im DP-Lager Föhrenwald bei München als Sohn osteuropäischer Schoa-Überlebender geboren, verbrachte Towje Kleiner seine Kindheit und Jugend in Schweden, Kanada, England, Argentinien und Deutschland. Und natürlich in Israel. Dort gab er auch 1969 sein Bühnendebüt im Jiddischen Theater Tel Aviv.

Nach München zurückgekehrt, gehörte Kleiner in den 70er-Jahren zu der Schwabinger Clique um Helmut Dietl, die damals das Genre der Fernseh-Vorabendserie neu definierte. Statt biederer Familienschmonzetten waren zwischen den Werbeblöcken plötzlich intelligente Komödien aus dem Milieu der Münchener Bohème zu sehen. Mit ihnen wurde der Grundstein für spätere TV-Highlights wie Kir Royal und Kinoerfolge wie Schtonk und Rossini gelegt.

naturtalent Anders als sein Regisseur Dietl machte Towje Kleiner aber nicht den Sprung nach ganz oben. Nicht, weil es ihm an darstellerischen Talent gefehlt hätte. Wer alte Folgen von Der ganz normale Wahnsinn anschaut, kann dort einen Schauspieler beobachten, der an Ausstrahlung, Ausdruckskraft und nicht zuletzt komödiantischem Naturtalent das teutonische Einerlei von Til Schweiger, Uwe Ochsenknecht und Heiner Lauterbach locker in die Tasche stecken konnte.

Wenn Towje Kleiner dennoch nicht die ganz große Fernseh- und Kinokarriere gemacht hat, dann vielleicht, weil ihm dieses letzte Stück Verbissenheit fehlte, das man in jedem Beruf braucht, um an die Spitze zu gelangen. Lieber widmete er sich seiner Familie, mit der er am Tegernsee lebte. Vor der Kamera stand Kleiner in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr. Entzugserscheinungen hatte er aber nicht.

Er war zufrieden. »Wenn man zurückschaut, dann ist schon viel passiert, in meinem Leben ganz besonders«, sagte er 2008 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Jetzt ist Towje Kleiner tot. Und die Frage, die er als Maximilian Glanz in Der ganz normale Wahnsinn gestellt hat, bleibt weiter unbeantwortet: »Woran liegt es, dass der Einzelne sich nicht wohl fühlt, obwohl es uns allen so gut geht?«

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025