Glosse

Glück im Unglück

Wie mich eine Gurkenscheibe mit den Feiertagen versöhnte

von Margalit Berger  11.09.2012 17:02 Uhr

Chaos muss nicht immer schlecht sein. Im Gegenteil – manchmal hat es segensreiche Folgen ... Foto: Thinkstock

Wie mich eine Gurkenscheibe mit den Feiertagen versöhnte

von Margalit Berger  11.09.2012 17:02 Uhr

Ich bin eindeutig feiertagstraumatisiert. Seit ich als kleines Kind beim Taschlich in den Synagogenteich gefallen bin und der Gabbe mich wieder rausfischen musste, ist die Zeit der Hohen Feiertage nicht gerade mein jährliches Highlight. Aber ich versuche, dieser Malaise irgendwie entgegenzutreten und die Feiertage wenigstens für den Rest der Familie mit ein paar spritzigen kleinen Ideen aufzuwerten.

Vor einigen Jahren verfiel ich zum Beispiel auf die Idee, den Kindern zu Rosch Haschana einen Experimentierkasten zu schenken: »Der kleine Hobby-Imker – Bienenzucht für Einsteiger«, man kann damit Honig selbst herstellen, um dann die Äpfel hineinzustippen.

Schutzanzug Während sämtliche meiner Kinder vor Angst an der Balkontür klebten, drapierte ich furchtlos den Inhalt der Box auf der Terrasse: Bienenstöcke, Waben und auch das mitgelieferte domestizierte Bienenvolk in der Dose, die ich schwungvoll öffnete – ohne vorher den mitgelieferten Imker-Schutzanzug anzulegen. Dass ich in jenem Jahr mein Feiertags-Menü in pürierter Form per Strohhalm zu mir nehmen musste, da meine ganze Visage mit Bienenstichen übersät und zugeschwollen war, wird niemanden wundern. Auch dass ich dem Spruch vom »honigsüßen neuen Jahr« seitdem nur wenig abgewinnen kann, ist wohl verständlich.

Darum versuchte ich im darauffolgenden Jahr, Insekten zu meiden, und führte die Kinder in einen Streichelzoo, um ihnen die Schofarhörner auf den prachtvollen Widdern zu zeigen. Dumm nur, dass eines der Kinder seinen Schnuller einem Widder direkt vor die Füße spuckte, und dass der Widder mir beim Schnuller-Bergungsversuch mit seinem vollen Gewicht auf die Finger trat.

krankenhaus Ich also wieder ab ins Krankenhaus, und das festliche Menü musste ich in jenem Jahr klein geschnitten konsumieren, da ich mit meiner zertrümmerten Hand kein Messer halten konnte. Spätestens da wurde mir klar: Einige von uns sollten die Feiertage besser in einem zugemauerten Iglu verbringen, weitab von allen potenziellen Katastrophen. Oder in einem versiegelten U-Boot. Oder in der Isolierzelle der Klapsmühle.

In einem anderen Jahr versuchte ich, ganz ohne Beihilfe aus der Welt der Tiere in den richtigen Feiertagsspirit zu kommen: Ich trommelte die Großfamilie zum Apfelpflücken auf einem malerischen Bauernhof zusammen und fand mich wahnsinnig originell. Ich hatte tagelang gegoogelt, um den preiswertesten Hof zu recherchieren. Kostenpunkt: 20 Mücken für anderthalb Stunden Erntevergnügen – egal, wie viele Kilo Äpfel man dann vom Feld schafft.

Ich stieg also von Baum zu Baum, pflückte wie eine Wilde und vergaß darüber total die Zeit. Ich konnte ja nicht wissen, dass der Bauer nach genau 90 Minuten Schicht im Schacht machte und die Leiter wieder zurück in den Schuppen stellte – ohne zu checken, wer da oben noch im Baum saß. Auch dass meine Family wieder in ihren extra angemieteten Kleinbus stieg, sich fröhlich vom Acker machte und erst an der nächsten Tankstelle meine Abwesenheit bemerkte, stimmte mich nicht gerade versöhnlich. Von Anfang bis Ende der Feiertage, über Rosch Haschana und Jom Kippur bis Sukkot, sprach ich mit niemandem ein Wort.

sensation Und dann letztes Jahr – die ganz große Sensation: Es passierte nichts. Überhaupt nichts. Rosch Haschana, erster Tag, zweiter Tag, alles lief famos, es ging mir ausgezeichnet. An Jom Kippur dann wurde ich misstrauisch: Warum lief alles so glatt, wo ich doch normalerweise das Unglück anzog wie ein Magnet? Schließlich, beim Anbeißen nach Fastenende, beim Run auf das kalte Buffet, offenbarte sich die Antwort: Wie immer kämpfte ich an vorderster Front und hatte ein Sandwich ergattert, aus dem beim Reinbeißen eine Gurkenscheibe herausglitschte und auf den Boden fiel.

Kurz darauf wurde die Gurkenscheibe der Rebbetzin zum Verhängnis: Sie rutschte aus und fiel der Länge nach hin, wobei sie einige Gemeindemitglieder wie Dominosteine mitriss. Dabei hielt sich jemand am Tischtuch fest und beförderte das ganze Buffet ins Jenseits. Die Kerzen auf dem Buffet fielen hinunter und entzündeten eine Slivovitzlache, sodass die Sprinkleranlage anging und die ganze Kehille in Löschflüssigkeit ersäufte, was das Gemeindesaalparkett völlig ruiniert hat, sodass der Raum renoviert werden muss und immer noch geschlossen ist, sodass auch im kommenden Jahr der WIZO-Basar, die Chanukka- und die Purimfeier ein weiteres Mal ausfallen, sodass ich weder zum Tortenbacken noch zum Falafelbraten noch zum Sufganiotverteilen noch zum Kinderschminken eingeteilt werden kann!

Sodass 5773 ein weiteres Glücksjahr für mich werden wird – und ich mit dem ganzen Feiertagsschmus wieder rundum versöhnt bin.

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