Wuligers Woche

Gezeichnet, Broder

»Keine andere Berufsgruppe, nicht einmal die der Politiker, ist dermaßen von der Überzeugung beseelt, sich engagieren zu müssen, wie die der Schriftsteller«: Der Autor dieser klugen Einschätzung ist Henryk M. Broder. Foto: Thinkstock

Wuligers Woche

Gezeichnet, Broder

Immer wieder hat der preisgekrönte Autor über »Unterschriftsteller« gespöttelt – zu Recht

von Michael Wuliger  19.03.2018 16:17 Uhr

Man sollte als Journalist unbedingt ein Stichwortarchiv eigener Arbeiten anlegen – je mehr man geschrieben hat, desto sorgfältiger gepflegt. Sonst kann es passieren, dass alte Texte aus der Versenkung auftauchen und einem in den Hintern beißen.

Zum Beispiel dieser hier, über das, was der Verfasser spöttisch als das »Unterschriftenkartell« aus der Welt der Künste und der Publizistik bezeichnet. »Unterschriftsteller« nennt er sie an anderer Stelle und wundert sich: »Müssen es immer wieder Künstler und Schriftsteller sein, die Appelle verfassen, um auf irgendeinen Missstand, ein Unrecht hinzuweisen? Haben Künstler und Schriftsteller eine besondere Lizenz, die sie zu moralischer Entrüstung befähigt? Können es nicht mal Juweliere, Konditoren und Optiker sein? Oder Apotheker, Drogisten und Friseure? Brauchen die Künstler und Schriftsteller immer wieder die Bestätigung, dass es völlig egal ist, ob sie ihren Protest einzeln zum Fenster hinausschreien oder sich zusammentun, um gemeinsam nichts zu bewirken?«

Überzeugung Es handelt sich, diagnostiziert er, um eine Art Berufskrankheit: »Keine andere Berufsgruppe, nicht einmal die der Politiker, ist dermaßen von der Überzeugung beseelt, sich engagieren zu müssen, wie die der Schriftsteller. Ein engagierter Schriftsteller schreibt nicht nur, er unterschreibt auch: Resolutionen für den Frieden, gegen die Armut und für soziale Gerechtigkeit, für das Gute an sich und gegen das Böse im Allgemeinen.«

Der Autor dieser klugen Einschätzung ist Henryk M. Broder, hervorgetreten durch preisgekrönte Essays, Polemiken – und seit Kurzem durch einen, ja genau, öffentlichen Aufruf. »Erklärung 2018« heißt er und wendet sich gegen »die illegale Masseneinwanderung« und tritt ein für »diejenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird«.

Die Liste der Unterzeichner beginnt mit Henryk M. Broder, gefolgt von Uwe Tellkamp, Thilo Sarrazin und inzwischen mehreren Hundert nach eigener Beschreibung »Autoren, Publizisten, Künstlern, Wissenschaftlern und anderen Akademikern«. Juweliere, Konditoren und Optiker sind keine dabei. Auch keine Apotheker, Drogisten und Friseure.

Resolution Ich fürchte, Henryk M. Broder hat sich da selbst ein Bein gestellt. Nicht wegen der politischen Richtung des Aufrufs oder der zum Teil fragwürdigen Gesellschaft, in die er sich mit seiner Unterschrift begeben hat. Aber wenn demnächst mal wieder eine Resolution von anderer Seite kommt, signiert vielleicht von Michel Friedman, Micha Brumlik oder anderen Leuten, die er nicht mag, kann Broder nicht mehr über »Unterschriftsteller« spötteln. Ein vielstimmiges »Selber einer!« wird ihm entgegenschallen. Schade. Das Unterschriftenkartell, ob von links oder rechts, hat Häme reichlich verdient. Wer soll die jetzt noch schreiben?

Immerhin, Broder weiß nun dank eines Selbstversuchs, wie das so ist, Aufrufe zu unterschreiben. Obwohl ihm das vorher doch auch schon klar war: »Nur die Unterzeichner des Aufrufs werden sich wohlfühlen. Das ist auch der Zweck der Übung. Und sonst gar nichts.«

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Interview

»Erinnern, ohne zu relativieren«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über das neue Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, Kritik an seiner Vorgängerin Claudia Roth und die Zeit des Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur

von Ayala Goldmann  12.11.2025