»Concerned Citizen«

Gentrifizierer wider Willen

Filmszene aus »Concerned Citizen« Foto: Guy Sahaf

Ben (Shlomi Bertonov) pflanzt ein Bäumchen vorm Haus. Gerade sind er und sein Mann Raz (Ariel Wolf) in ihr neues Heim gezogen, ein schick saniertes Apartment in Neve Sha’anan, einem migrantisch geprägten Stadtteil im Süden Tel Avivs, der gerade »im Kommen« ist. Ben und Raz sind als gut verdienendes, liberales schwules Paar die Vorhut der Gentrifizierung des Viertels. Hier können sie sich eine großzügige Eigentumswohnung leisten, die im Zentrum unerschwinglich wäre. 

Ihr Alltag hinter dem Sicherheitstor ist geprägt von geschmackvoll minimalistischer Einrichtung, wohltemperierter Hintergrundmusik und morgendlichen grünen Smoothies, während der Saugroboter diskret durch die Zimmer surrt.

LEIHMUTTER Jetzt fehlt nur noch ein Kind zum jungen Beziehungsglück. Mithilfe einer Leihmutter wollen sie ein Baby bekommen, das sie auch in der Multikulti-Gegend aufwachsen lassen wollen, »divers, pluralistisch«, das finden sie wichtig, wie sie auf Nachfrage eines von den Plänen überraschten befreundeten Hetero-Paares bestätigen.

Sie wollen sich einbringen in die Nachbarschaft, deswegen ja auch das Bäumchen. Nur blöd, dass nicht jeder diese Geste so zu schätzen weiß. Als Ben vom Fenster aus sieht, wie sich zwei junge Migranten unten auf der Straße unterhalten und sich der eine dabei so an den zarten Baumstamm lehnt, dass er sich verdächtig biegt, sucht er um Fassung bemüht das Gespräch.

POLIZEIGEWALT Als er die beiden Eritreer kurz darauf wieder am Baum stehen sieht, ruft er anonym bei der Polizei an und bittet zu »vermitteln«. Und ist umso schockierter, als die kurz darauf tatsächlich auftaucht und brutal durchgreift. 

Der israelische Regisseur Idan Haguel beginnt sein Langfilmdebüt über ein privilegiertes urbanes Milieu zunächst mit deutlich satirischen Tönen und entlarvt damit so manchen Selbstbetrug einer sich als progressiv verstehenden linksbürgerlichen Klientel zwischen gut gemeintem Handeln, Selbstverwirklichung und unangenehmen Einsichten zur eigenen Haltung und deren Folgen.

WELTBILD Der Ton ändert sich im Laufe des Films. Die Polizeigewalt bringt Bens Weltbild ins Wanken. Während er und Raz online nach der passenden Leihmutter suchen und die Kandidatinnen dabei wie auf einer Dating-App durchscrollen, wächst in Ben das Unbehagen.

Bald reagiert der »besorgte Bürger« übersensibel auf alles, was seiner Ansicht nach in der neuen Umgebung nicht stimmt, und stellt schließlich nicht nur den Wohnort infrage, sondern auch den Entschluss, Eltern zu werden. Plötzlich wird das Viertel, dessen rauer Charme eben noch gepriesen wurde, für Ben zum unmöglichen Ort, für ihn als schwulen Mann und für ein Kind allemal. 

Haguel findet dafür immer wieder treffende Szenen, etwa wenn Ben dem Psychotherapeuten sein Leid klagt und dabei das eigene Fehlverhalten schönredet, bis er es selbst glaubt. Doch so richtig kann sich der Film nicht zwischen Charakterstudie und Sozialkritik entscheiden und bleibt in seiner Analyse letztlich oberflächlich.

Der Film läuft ab dem 2. Februar im Kino.

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025