Wuligers Woche

Euer Trauma und unseres

Foto: Getty Images/iStockphoto

Bei Amazon konnte man vor einigen Jahren eine Anne-Frank-Wackelkopf-Figur kaufen. 14,95 US-Dollar kostete die lustige Plastikpuppe des, so die Produktbeschreibung »beliebten Holocaust-opfers«. Nach Protesten nahm Amazon das Teil vom Markt.

Diskurs So viel Feingefühl und Einsicht wie der US-Online-Händler haben deutsche Professoren leider nicht. Die Instrumentalisierung der Schoa für eigene, unpassende Zwecke gehört zum hiesigen intellektuellen Diskurs.

Aktuell tobt sie sich in der nicht enden wollenden Debatte um den kamerunischen Historiker und Philosophen Achille Mbembe aus.

Gegen die Einzigartigkeit des deutschen Völkermords wird dort eine Universalität von Unterdrückung postuliert. Der Holocaust verschwindet in einer Aufzählung historischer Verbrechen, vor allem denen des europäischen Kolonialismus.

Ein Vertreter dieser Denkschule ist Henning Melber, Professor an der Universität Pretoria. Als Replik an die Kritiker von Achille Mbembe und des Postkolonialismus forderte er vorige Woche in der Tageszeitung taz, »das Holocaust-Trauma als Verantwortung zu begreifen, um im Sinne des Never Again gegen jede Form von Diskriminierung, Rassismus und Gewalt Position zu beziehen (was auch eine Kritik an Menschenrechtsverletzungen durch den Staat Israel verlangt)«.

Israelkritik Dass aus Auschwitz zwingend Israelkritik folgt, gehört zum deutschen Nationalbewusstsein, seit es den jüdischen Staat gibt. Zu dieser Art der Schuldumkehr ist alles bereits gesagt. Interessant an Melbers Satz ist etwas anderes. Er spricht von einem »Holocaust-Trauma«, das offenbar, wie zuvor schon die Schoa, nicht mehr den jüdischen Opfern und ihren Familien gehört, sondern der Menschheit generell, einschließlich den Nachkommen der Täter.

Das ist obszön, jedoch nicht neu. Vor Jahren hat in einer Fernsehtalkshow Henryk M. Broder einen Gast, der schwadronierte, wie sehr er als Deutscher durch die Schoa traumatisiert sei, gefragt, ob er denn auch, wie Broders Eltern, ständig nachts vor Angst schreiend aufwache. Der Angesprochene schwieg beschämt. Henning Melber schwätzt weiter.

Wenn Juden an die Schoa denken, denken sie konkret. Sie sehen vor sich ihre ermordeten Verwandten, von denen wenig blieb als einige vergilbte Fotos. Sie denken an ihre Eltern und Großeltern, die, wenn sie überlebt hatten, seelisch zutiefst beschädigt waren. Sie spüren Schmerz über einen nie wieder gutzumachenden menschlichen Verlust.

Familienhintergrund Den Luxus, die Ermordung von sechs Millionen Individuen als abstrakte Kategorie zu denken, haben sie nicht. Dafür braucht man wohl einen anderen Familienhintergrund.

»Ein Toter ist eine Tragödie; tausend Tote sind eine Statistik.« Wäre Josef Stalin, dem dieses Zitat des Öfteren zugeschrieben wird, heute noch am Leben, würde er es wahrscheinlich neu formulieren: »Ein Toter ist eine Tragödie; Millionen Tote sind eine deutsche Feuilletondebatte.«

Glosse

Der Rest der Welt

Superman kommt ins Kino – und wo sind die super Männer?

von Katrin Richter  13.07.2025

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 wohl nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  13.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  13.07.2025 Aktualisiert

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025