Fernsehen

Erfrischende Perspektiven

Ein Feuerwerk an Bonmots: Daniel Donskoy Foto: WDR/Fynn Freund

Mit Humor ist es so eine Sache. Wenn Daniel Donskoy gleich zu Beginn der zweiten Staffel seines Erfolgs-TV-Formats Freitagnacht Jews, die nicht in einem behaglichen Berliner Studio mit Edelküche angesiedelt ist, sondern in London, Buenos Aires, Tel Aviv und Istanbul gedreht wurde, erklärt, dass die einzige jüdische Late-Night-Show nun auf Reisen geht, und zwar »diesmal nicht mit dem Zug und auch nicht One-Way«, dann möchte man nur mit den Augen rollen – so abgedroschen und ausgelutscht ist die Pointe. Der Drang, ständig ein Feuerwerk an Bonmots zu zünden und dabei vermeintlich existierende Grenzen zu überschreiten, wirkt in solchen Momenten einfach nur nervig und zwanghaft.

Doch bleibt man bei der Stange und schaltet nicht gleich wieder ab, wird man im wahrsten Sinne des Wortes belohnt. Denn Donskoy gelingt es, Einblicke in jüdische Befindlichkeiten und Lebenswelten zu vermitteln, die es in dieser Form wohl noch nie gegeben hat, zumindest nicht im deutschen Fernsehen. Das zeigt sich schon nach wenigen Minuten in der ersten Folge, die in London spielt. So trifft er dort Sam Fromsom, einen Rabbiner, der »stolz darauf ist, orthodox zu sein«, sich rein optisch aber schon einmal allen Klischees eines Orthodoxen entzieht, weil er aussieht, als käme er gerade frisch aus dem Fitness-Studio.

widerspruch Beide schlendern mit dem Kaffeebecher in der Hand durch die Straßen, sprechen darüber, ob es ein Widerspruch sei, britisch und jüdisch zugleich zu sein. Und schon zeigen sich die Unterschiede zu Deutschland oder anderen Ländern auf dem Kontinent. »Zwar waren die englischen Juden auch immer wieder Antisemitismus ausgesetzt, aber ihnen wurde das Brite-Sein nie abgesprochen«, lautet eine These. Das wiederum mache es ihnen einfacher, beide Identitäten in sich zu tragen. Und anders als deutsche, französische oder russische Juden waren sie nicht direkt von der Schoa betroffen. »Haben sie einen Sonderstatus oder leben sie das gleiche Kollektivtrauma weiter?«

Genau diesen Fragen geht Donskoy auch mit seinen anderen Gästen, die – und damit bleibt die zweite Staffel dem alten Muster treu – von ihm wieder bekocht werden, auf den Grund. So diskutiert er mit dem Comedian David Baddiel und der Frontfrau der Indie-Rock-Band Porridge Radio, Dana Margolin, inwieweit es gerade im Unterschied zu Deutschland einfacher ist, von sich selbst als Jude zu sprechen. Baddiel thematisiert darüber hinaus die Ignoranz linksliberaler, sogenannter progressiver Milieus in Großbritannien gegenüber dem Antisemitismus.

Auch in Buenos Aires trifft sich Donskoy mit einer recht bunten Mischung von jüdischen Argentiniern und lotet mit ihnen gemeinsam aus, was die größte jüdische Gemeinschaft Lateinamerikas so einzigartig macht – und das ausgerechnet in einem Land, das zugleich Refugium zahlreicher Nazi-Verbrecher wie Adolf Eichmann oder Josef Mengele war. Einer, der ihm Antworten dazu liefert, ist der Journalist Alejandro Bercovich. »Es ist eine sehr politisierte Community. Die ersten Juden, die aus Europa hierherkamen, gründeten linke Vereine, dann kamen rechte dazu, nur um zu opponieren. Diese Spaltungen gingen durch alle Familien.«

styling Anschließend werden drei junge argentinische Jüdinnen und Juden von Donskoy wieder fürstlich bewirtet, und zwar der ehemals orthodoxe und nun liberale Rabbiner Emmanuel Taub, die orthodox aufgewachsene und sich nun als »weiße Latina« bezeichnende Buchautorin Tamara Tenenbaum sowie das Model Naomi Preizler, die aufgrund ihres Stylings und Auftretens wie eine jüdische Version von Nina Hagen wirkt.

Selbstverständlich geht es auch hier äußerst lebhaft zu, wobei die Themen abrupt wechseln. Mal ist es die grausame Zeit der Militärdiktatur und die auffallend hohe Anzahl der damals ermordeten Juden, die angesprochen wird, mal sind es die Brüche in den eigenen Familiengeschichten oder eben auch »Sex mit Gott«. Dabei entwickelt die Interaktion zwischen Donskoy und seinen Gesprächspartnern eine einzigartige Dynamik, die keine Sekunde langweilig ist und von der man im deutschen Fernsehen gerne mehr sehen möchte.

Folge 3 der zweiten Staffel wird am 6. Oktober in der ARD-Mediathek veröffentlicht, Folge 4 am 13. Oktober. Am 21. Oktober laufen alle vier Folgen im WDR-Fernsehen.

Bochum

Peter-Weiss-Preis geht an Regisseurin Yael Ronen

Die Preisträgerin nutze Kunst als Instrument gesellschaftlicher Aufklärung, erklärte die Jury

 30.10.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  30.10.2025

Hollywood

Gegenwind für Boykotteure

Wie anti-israelische Kampagnen die Filmindustrie in den USA spalten

von Jana Talke  30.10.2025

Kulturkolumne

Motty Goldman sei Dank!

Meine Mutter ist mir nicht mehr peinlich

von Maria Ossowski  30.10.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 30. Oktober bis zum 6. November

 30.10.2025

Ehrung

Demokratiepreis für Graphic Novel über Schoa-Überlebende

Die Schoa-Überlebenden Emmie Arbel gewährte Zeichnerin Barbara Yelin vier Jahre lang Einblicke in ihr Leben

 30.10.2025

Analyse

Psychiater Otto Kernberg: Dieses Symptom verbindet Trump und Putin

von Anita Hirschbeck  29.10.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 29.10.2025

Meinung

DAVO: Feindbild und Ausschluss

Die Ausrichtung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient unter dem neuen Vorstand legitimiert antiisraelische, antizionistische und in der Konsequenz antisemitische Narrative

von Julia Bernstein  29.10.2025